Einfluss des Egos auf die kollektive Intelligenz
Zusammenhänge erkennen
Durch Verbundenheit wird der Weg aus dem Ego geschafft.
Viktor Frankl
In der Zusammenarbeit ist es wichtig, dass wir ein geschärftes Bewusstsein für unser Ego bekommen. Wenn viele Egos gleichzeitig aktiv sind, wird es für den Einzelnen schwierig, seine wahren Potenziale zur Entfaltung zu bringen. Im schlimmsten Fall kumuliert sich diese Ego-Falle in Teams und Organisationen und es kann nur noch ein Bruchteil von den eigentlich vorhanden Erfolgspotenzialen genutzt werden. Deshalb gilt es als Führungspersönlichkeit die Aufmerksamkeit auf diesen Punkt zu richten, um immer mehr von der kollektiven Intelligenz, dem gesamten Potenzial eines jeden Teammitglieds, nutzbar zu machen. (tl)
Die Andersartigkeit unseres Gegenübers wertzuschätzen, das ist eine der Herausforderungen unserer heutigen Zeit. Sich im Team mit Menschen zu umgeben, die anders denken und handeln, das fördert den Teamspirit, ist aber zuweilen auch anstrengend. Die Andersartigkeit will integriert werden und dies ist ein persönlicher Entwicklungsprozess. Sobald wir in Antipathie oder Sympathie, in Ängste, Sorgen oder Befürchtungen verfallen, ist immer unser Ego aktiv und nicht mehr unser wahres Ich. Wir geben unsere innere Führung ab. Doch wir haben es in der Hand, wie wir auf verschiedene Situationen reagieren. Situationen und Handlungen von Menschen sind für sich betrachtet zuerst einmal neutral. Erst die Bedeutung, die wir einem Ereignis beimessen, löst in uns eine Reaktion aus. Solange wir in uns ein unreflektiertes Resonanzfeld haben, gehen wir in Ablehnung sowie Abwehr und unser Ego wird aktiv. Ein unreflektiertes Resonanzfeld ist ein Gefühl, das auftritt und das wir nur über unsere Handlung wahrnehmen; erst wenn wir bewusst anschauen, wodurch dieses Gefühl entsteht, kann es aufgelöst werden. Wir nehmen es dann in unser Bewusstsein auf. In dem Moment spalten wir uns also von unserem wahren Ich, unserer verfügbaren Potentialität und unserer inneren Kraft ab. Laut Prof. Hans A. Wüthrich (siehe Literaturhinweise) wird es die Aufgabe von Führungspersönlichkeiten der Zukunft sein, ihr Denken und Handeln intensiv zu reflektieren und ihrem niederen Selbst, das heißt dem Ego, immer mehr auf die Schliche zu kommen. „Es darf in unserem Lande (er spricht hier überwiegend von den D-A-CH-Ländern) üblich werden, sich dafür professionelle Unterstützung zu holen, denn man kann sich selbst nicht sehen.” Selbstreflektion braucht einen Spiegel. Im deutschsprachigen Kulturraum wird das meist noch als Schwäche angesehen, anstelle des deutlichen Mehrwerts.
Vom Wert der Reflektion
Beim persönlichen Entwicklungsprozess gehört es mit zu den schwierigsten Aufgaben, sein Denken und Handeln wirklich ehrlich zu reflektieren. Erste Ansätze für Veränderungen sind schnell gefunden, doch das Ego meldet sich meist unverzüglich und wiegelt alles ab. Deshalb ist ein begleiteter Reflektionsprozess der geeignetste Weg, um in sich Schicht für Schicht aufzudecken und immer mehr den wahren Menschen, das wahre Ich, zum Vorschein zu bringen. Nur wer sich selbst auf den Weg gemacht hat und immer bewusster geworden ist, erkennt, wer gerade innerlich das Ruder in der Hand hat. Aber ohne diesen Weg zu beschreiten, kommen wir unserem Ego nicht auf die Schliche. Wir begrenzen uns weiterhin darin, unsere wahren Potentiale nicht zur Verfügung zu haben und machen es uns in der Zusammenarbeit unnötigerweise schwer. Denn für nahezu alle Konflikte, die entstehen, ist das Ego verantwortlich.
Authentizität in der Führung
Deshalb braucht es authentische und reflektierte Führungspersönlichkeiten, die sich ihrer Stärken und Schwächen bewusst sind und die sich von ihrem wahren Ich statt von ihrem Ego leiten lassen. Viele Tagesprobleme, Hindernisse und Herausforderungen lösen sich auf oder entstehen erst gar nicht, wenn immer weniger Entscheidungen aus Ängsten, Bequemlichkeiten oder aus persönlichem Vorteil gefällt werden. Ein starkes, wahres Ich begibt sich gemeinsam mit seinem Team auch einmal mutig auf ein unbekanntes Terrain. Solche Menschen ruhen stärker in sich, sind gelassener, toleranter und sind in der Lage, auf sympathische Weise Verbundenheit mit ihren Mitmenschen herzustellen. Verbundenheit heißt, in sich selbst den wahren Menschen und sein eigenes wahres Wesen zu erkennen, nicht die Maske, sondern das eigentliche Wesenhafte. „Was will sich zeigen?“ Dies gelingt am besten im persönlichen Kontakt. Nur so offenbart sich der wahre Mensch und nur so können Gestik, Mimik und das gesprochene Wort als stimmig erachtet oder Unstimmigkeiten erkannt werden.
In diesem Prozess gilt es, mit all unseren Sinnen wahrzunehmen, nicht nur mit unseren Augen und Ohren. Dies ist eine weitere Kompetenz, die eine gute und verantwortungsbewusste Führungspersönlichkeit in sich entwickeln sollte, echte Verbundenheit mit seiner eigenen, wahren Persönlichkeit, dem Ich herzustellen. Denn es ist außerordentlich wichtig, in sich ein sicheres Gespür zu entwickeln, wie es sich anfühlt, wenn das Ego spricht und wie anders ein Gespräch verläuft, wenn man in Kontakt mit seinem höheren Ich ist.
Achtsamkeit und Wahrnehmungsfähigkeit verändern sich dadurch zunehmend, denn wir nehmen dann ganzheitlich wahr und nicht nur mit unseren fünf Sinnen. Wir fühlen in uns, ob etwas stimmig ist oder nicht. Mit unseren Sinnen (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten) nehmen wir die Außenwelt wahr. Laut Rudolf Steiner gibt es zwölf Sinne, einige davon fließen in den Prozess des Wahrnehmens mit ein. (In einer der nächsten Ausgaben werden wir diese vorstellen.) Erst, wenn die eigene Innenwelt immer besser erkannt und genutzt wird, können wir unsere Mitmenschen immer besser wahrnehmen. Eine Führungskraft, die diesen Potenzial-Entfaltungsprozess für sich umsetzt und dabei immer souveräner und bewusster mit sich umgeht, kann diesen Entwicklungsprozess bei Mitarbeitern und Teammitgliedern aktiv begleiten und fördern.
Verbundenheit im Dialog
Dies setzt in erster Linie eine äußere Entschleunigung voraus, denn in Hektik und von außen getrieben ist unsere Wahrnehmungsfähigkeit erheblich getrübt. Wir werden mit unseren Sinnen abgelenkt und verlieren den Kontakt zu unserem inneren Kern und somit auch den Kontakt zu unseren Mitmenschen und Gesprächspartnern. Es kann sich keine echte Verbundenheit einstellen.
Ein weiterer Aspekt, Verbundenheit herzustellen, ist wirkliches Zuhören und die Bereitschaft, in einen echten Dialog zu gehen. Dies bedeutet nicht, bereits zu wissen, was der andere sagen will, sondern offen und ohne sich eigene Gedanken zu machen, dem Gegenüber zuzuhören. Heute gibt häufig ein Wort das andere und wir lassen unsere Mitmenschen meist nicht einmal mehr ausreden. Wir beginnen bereits während der andere noch spricht, innerlich zu argumentieren und platzen dann damit heraus, obwohl der andere noch das Wort führt. Es gilt eine echte Dialogkultur zu entwickeln, anstatt nur Meinungen auszutauschen. Durch einen Dialog werden verschiedene Sichtweisen ausgetauscht und es kann daraus Neues entstehen. Das bedarf echter Übung. Wenn Menschen diese Kernpunkte umsetzen, werden sie sehen, wie sich ihr Team um sie herum verändert. Es gehört Mut dazu, Dinge einmal von einer anderen Seite zu betrachten und die Gefühlswelt in die Arbeitswelt zu integrieren.
Überblick zum Freisetzen von kollektiver Intelligenz
- eigene Persönlichkeit reflektieren – wer bin ich wirklich?
- Verbundenheit schaffen durch ganzheitliche Wahrnehmung meines Gegenübers und zuhören mit allen Sinnen
- in echten Dialog treten
Buchtipp
Capriccio.
Hans A. Wüthrich
erschienen im Vahlen Verlag (D) oder (CH)
ISBN (D) 978-3-03909-285-7,
ISBN (CH) 978-3-8006-6253-1
Die kollektiven Neurosen im Management. Wege aus der Sinnkrise in der Chefetage.
Helmut Graf
erschienen im Linde Verlag Wien
ISBN 978-7093-3-0149-4
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