Papier neu denken
Vor etwa neun Jahren stellte sich Uwe D’Agnone, Gründer der Firma creapaper GmbH, die Frage: „Muss es bei der Papierherstellung immer ein Baum als Grundstoff sein oder welcher Rohstoff kann stattdessen in den Produktionsprozess mit integriert werden?“ (tl)
Herr D’Agnone, mit Ausbildung in Tiefdruck, Druck- und Weiterverarbeitung sowie Offset-Druck, gründete bereits mit achtundzwanzig Jahren seine eigene Agentur mit Schwerpunkt Grafik & Druckproduktion. Sein innerer Antrieb war schon immer eine sinnstiftende Aufgabe mit hohem Wirkungsgrad für die Gesellschaft und Umwelt zu leisten. Deshalb stellte er sich nach einigen Jahren die Frage, wie sein Beitrag zur Reduktion der Umweltverschmutzung aussehen könnte.
Bei der herkömmlichen Papierherstellung ist, um den Holzfaserstoff vom Baum zu trennen, ein hoher Aufwand von Wasser und Strom sowie auch Chemie notwendig. Für die Produktion einer Tonne Papier aus frischen Holzfasern wird so viel Energie benötigt wie für die Herstellung einer Tonne Stahl. Uwe D‘Agnone beschäftigte sich mit dem Gedanken: Bei welcher Pflanze sind die sogenannten Störstoffe möglichst gering? Beim Holz ist das der sogenannte Stoff „Lignin“. Dieser Störstoff muss von der Holzfaser in einem Chemiebad herausgekocht werden, damit die Stoffe separiert und von der Faser gelöst werden können. Die Frage lautete also:
„Welche Pflanze hat wieviel Lignin und welche Pflanze ist dazu geeignet, dass man dieses aufwändige Chemiebad nicht mehr braucht?“
Je stärker und höher eine Pflanze ist, umso stabiler muss sie sein, was gleichzeitig bedeutet, dass damit der Lignin-Anteil in der Pflanze steigt. Somit kam Uwe D’Agnone schlussendlich auf den Rohstoff „Gras“. Mit ersten Tests, die durch Handschöpfung stattgefunden haben, hat es wunderbar funktioniert. Jetzt musste es jedoch auf den großen Produktionsmaschinen auch noch funktionieren. Hierzu musste er mit seiner Idee auf die Maschinen von klassischen Papierherstellern zurückgreifen. Eine große Herausforderung, wie sich herausstellte. Denn die Prozesse laufen dort perfekt optimiert und sollen nicht durch „Experimente“ gestört werden.
Uwe D’Agnone musste auch hier sein Denken komplett umdrehen, denn die herkömmlichen Papierhersteller waren zum damaligen Zeitpunkt nicht wirklich daran interessiert, neue Wege zu gehen. Erst als die ersten großen Abnehmer und Handelsketten gefunden wurden, um Verpackungsmaterial aus Gras herstellen zu lassen, wurden ihm die Türen geöffnet. Zunächst ermöglichte ihm ein kleiner Papierhersteller aus der Eifel, erste Versuche auf seiner Maschine durchzuführen. Der Herstellungsprozess lief dort erfolgreich durch und es konnte nach drei Jahren Entwicklungszeit an die ersten Serien-Produkte gedacht werden, wie zum Beispiel: Eierkartons, Umverpackungen für Obst und Gemüse und Tissue-Produkte. Der nächste Schritt in Richtung eigener Produktionsanlage stand an. Gemeinsam mit der Universität Bonn, die ihn bei der Grundlagenforschung für eine eigene Produktionsanlage unterstützte, wurde das Projekt angegangen. Heute steht eine Anlage mit einer Kapazität von 25.000 Tonnen pro Jahr zur Grasfaser-Produktion zur Verfügung.
Die Zielsetzung ist es, den Produzenten und Endverbrauchern alternative und umweltverträglichere Produkte anzubieten und immer mehr die herkömmliche Papierproduktion durch die Gras-Papierproduktion zu ersetzen.
Woher kommt das Gras
Das Gras ist natürlich gewachsen und wird von biodiversen Flächen geerntet, bei welchen der erste Schnitt erst im Sommer stattfindet, wenn die Blumen bereits ausgesät haben und so die Qualität der biodiversen Flächen erhalten bleibt. Das Gras wird ausschließlich von sogenannten Überschussflächen verwendet. Somit wird keinem Tier Futter weggenommen.
Die Rohstoff-Produktion findet derzeit in Düren statt und verschiedene Endprodukte werden an unterschiedlichen europäischen Standorten produziert. Heute gehören Produkte im Bereich Tissue, Verpackungsmaterialien aus Wellpappe, Faltschachteln, Umverpackungen von Handelsware, Büroausstattungen sowie Einweg-Produkte als Kunststoffersatz (zum Beispiel Coffee-to-go-Becher) zum festen Sortiment. Die Entwicklung findet meist mit den Herstellern direkt vor Ort statt.
Der Weg nach Amerika
Durch die Gewinnung von Ranpak und JS Capital wurde ein Investorenteam mit gleicher Ideologie wie die des Gründerteams gefunden. So sagt der Chairman von Ranpak Folgendes:
„Die innovativen Graspapierprodukte von creapaper sind bereit für eine Expansion auf den globalen Märkten und ergänzen die Kernprodukte von Ranpak im Bereich Papier und nachhaltigen Verpackungslösungen. Die Zusammenarbeit mit creapaper wird unsere Mission vorantreiben, Plastik-
verpackungen durch nachhaltige Alternativen zu ersetzen, indem wir Ranpaks umweltfreundliche Lösungen und das Papier-Angebot für unseren wachsenden Kundenstamm durch creapaper erweitern.“
Gemeinsames Ziel ist es, mit den Produkten aus Graspapier am amerikanischen Markt Fuß zu fassen und dadurch den Hebel für eine gesündere Umwelt noch größer werden zu lassen. Die Grundstoff-Gewinnung soll auch möglichst nah an den Produkt- und Produktionsstätten erfolgen. Innerhalb Europas wird dies bereits durch eine mobile Anlage ermöglicht.
Die Zielsetzung ist es, den Produzenten und Endverbrauchern alternative und umweltverträglichere Produkte anzubieten und immer mehr die herkömmliche Papierproduktion durch die Gras-Papierproduktion zu ersetzen.
Fazit
Statt gängige Produktionsprozesse immer weiter zu optimieren und rein den Fokus auf Zahlen, Daten, Fakten zu werfen, lohnt es sich manchmal, innezuhalten und von Grund auf sein Denken neu zu fokussieren. Wir nennen dies „lebendiges Denken“ und es sollte immer mehr in den Unternehmensalltag einfließen (siehe Ausgabe 01/2021). Nichts anderes hat Uwe D’Agnone getan – innerlich angetrieben durch seine Vision, etwas mit großem Wirkhebel zu gestalten.
Jeder Unternehmer, der bei sich im Unternehmen Produkte verpackt, kann jetzt darüber nachdenken, wie ein möglicher Umstieg auf den Rohstoff Gras in seinem Betrieb möglich gemacht werden kann. Damit wird dann ein erheblicher Beitrag zum Thema Umweltschutz geleistet. Je mehr ein anderer Rohstoff gefordert wird, desto eher steigen auch herkömmliche Papierproduzenten auf Alternativen um.
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