Wert versus Preis
Ein anderer Blick auf die Preisgestaltung
Änder Schanck, Demeter-Pionier. Vorstandsvorsitzender der OIKOPOLIS-Gruppe, für die assoziatives Wirtschaften zum unternehmerischen Selbstverständnis gehört. Er ist auch Mitbegründer des Zertifikates „fair & assoziativ“ .
Wenn wir einkaufen gehen, bezahlen wir einen Preis, nämlich den, der auf dem Etikett steht. Der Verkäufer macht uns damit ein Angebot und wir bezahlen es oder lassen es liegen, wenn es uns zu teuer erscheint. Für uns ein ganz normaler Vorgang. Wir machen uns keine Gedanken über die Preisgestaltung. Dies nimmt uns der Händler ab.
Etwas vereinfacht betrachtet, setzt sich der Preis aus den Material-, Produktions- und Gemeinkosten sowie einer Gewinnmarge zusammen und parallel wird geschaut, was der Kunde bereit ist zu zahlen – „Was gibt der Markt her?“ Kann die Gewinnmarge vielleicht noch etwas vergrößert werden? Wir als Kunden sind aber bei dem Preisgestaltungsprozess nicht mit eingebunden.
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Vieles geschieht bei den produzierenden Unternehmen und auch bei den Groß- und Zwischenhändlern. Erst wenn das Produkt in den Regalen liegt, kommt der Konsument dazu und kann entscheiden, ob er das angebotene Produkt kaufen möchte. Mittlerweile sind es nur noch wenige Branchen, die ihre Preisgestaltung frei und unbeeinflusst von verschiedensten Interessensgruppen gestalten können,
damit sie eine faire Entlohnung für ihre Leistungen erzielen. Zwischenhändler und Großhandelsketten zwischen dem Erzeuger und dem Endverbraucher diktieren immer mehr die Preisgestaltung.
Durch die weltweite Marktöffnung ist es angeblich billiger, landwirtschaftliche Produkte fern der Heimat zu produzieren und die sind dann immer noch kostengünstiger als die Produkte vor Ort. Die Zwischenhändler diktieren die Preise und machen die Vorgaben über die Gestaltung der Lebensmittel. Sie haben eine Marktmacht erreicht, die nicht nur für die Erzeuger (zum Beispiel Bauern), sondern auch für uns Kunden sehr ungesund ist. Die Bauern kämpfen ums Überleben und wir Verbraucher erhalten schlechte Qualität, weil nur noch Quantität statt Qualität zählt. Die Natur ist zu einer Produktionsmaschine degradiert worden.
Jedes Jahr müssen mehr und mehr Kleinbauern ihre Betriebe aufgeben, sei es, weil es nicht mehr rentabel ist oder weil sie keine Nachfolger mehr finden. Somit entstehen immer mehr Großbetriebe mit verheerenden Folgen für uns Menschen und die Umwelt. Es gilt also zu überlegen: „Wie könnte eine Preisgestaltung für ein nachhaltiges Wirtschaften aussehen?“
Der Gründer von Oikopolis1, Änder Schanck aus Luxemburg, gilt als Demeter- Pionier und hat sich den Prozess mal unter einem anderen Gesichtspunkt
betrachtet. Er dreht das Ganze um und fragt: „Was sind uns die landwirtschaftlichen Erzeugnisse denn wert? Was braucht ein Landwirt, damit er nachhaltig und im Einklang mit der Natur wirtschaften und produzieren kann? Wie sehen sinnvolle Lieferketten und Transportwege aus?“ Dies konsequent bis zum Ende gedacht und auch danach gehandelt, würde uns eine hohe Qualität der Produkte, kurze Wege vom Erzeuger zum Verbraucher und faire Preise bringen und hätte Vorteile für alle – die Natur und die Menschen.
Quelle: Oikopolis
Bei der Produktion von landwirtschaftlichen Gütern haben wir an zwei Enden der Wertschöpfungskette die Natur, die grün dargestellt ist (Darstellung). Links haben wir die Naturseite, die von der Landwirtschaft bedient wird, und wo die Lebensmittel durch Keimen, Wachsen und Reifen entstehen. Wenn das Ganze im betriebswirtschaftlichen Sinne betrachtet wird, dann kann festgestellt werden, dass rein wertbildend nur die Arbeit an der Natur ist, nicht die Natur selbst, somit nicht das Reifen und Wachsen. Der Bauer leistet den Naturprozess nicht selbst, sondern überlässt dies der Natur. Indem er pflügt, sät, erntet und so weiter, schafft er zwar die Bedingungen für die Naturprozesse, das Wachsen und Gedeihen der Frucht übernimmt die Natur ganz von selbst. Für die heutige Betrachtungsweise also kein produktiver Prozess.
Rechts haben wir wieder in grüner Farbe natürliche oder biologische Prozesse im menschlichen Stoffwechsel des Verbrauchers. Der Mensch verwertet die Produkte. Auch hier leistet unser Körper eine Vielzahl gescheiter Prozesse gratis, insbesondere, weil nicht nur Naturstoff verdaut wird, sondern im konsumierenden Menschen eigene Körpersubstanzen wie etwa Eiweiße und Fette aufgebaut werden. Zwischen diesen beiden grünen Natur-Polen spannt sich nun der volkswirtschaftliche Prozess, der wertbildend ist.
Wir gehen nun einmal davon aus, dass die dargestellte Wertschöpfungskette die wichtigsten Stufen umfasst, damit die Lebensmittel von der Produktion zum Verbrauch gelangen. Wir haben also den Landwirt, hier Produzent genannt, dann den Verarbeiter, den Großhändler (GH), den Einzelhändler (EH) und zuletzt den Konsumenten. Diese Akteure sind in der Regel auf sich gestellt und jeder möchte das bestmögliche Geschäft machen.
Heute setzen wir die landwirtschaftlich erzeugten Produkte gleich mit den Wirkprinzipien der Wirtschaft, mit schwerwiegenden Folgen:
Die grüne Linie zeigt, dass ein Stück Natur, dass Lebensmittel als Ware von links nach rechts fließen. Der landwirtschaftliche Produzent muss noch mehr oder weniger Selbstversorger sein, weil die zu bearbeitende Natur ihre inneren Gesetzmäßigkeiten hat und nicht beliebig durch Arbeitsteilung auseinandergerissen werden kann. Das gilt auch noch im beschränkten Maße für den weiter rechts stehenden Verarbeiter. Je weiter man dann aber nach rechts geht, desto stärker kommt die Arbeitsteilung mittels Einsatzes von Geist beziehungsweise Kapital oder technischen Produktionsmitteln zum Tragen.
Während wir links noch viel Arbeit (blau) aufwenden müssen, wird die Arbeit nach rechts hin immer weiter reduziert. Zum Ende hin haben wir uns komplett von der Natur entfernt. Erst auf der letzten Stufe, beim Konsumenten, das heißt in der privaten Küche, im Restaurant oder in der Kantine kommt die Naturseite der Ware wieder mehr zum Vorschein und erfordert aus der Sache heraus mehr handwerkliche und weniger geistige Arbeit. Die konsequente Folge davon ist, dass insbesondere im Einzelhandel ein hoher Grad an Arbeitsteilung erreicht ist und die stärkste Bündelung von Kapital zum Wirken kommt. Nicht umsonst gibt es fast überall auf der Welt nur noch relativ wenige, dafür aber sehr große Supermarkt- oder Discountstrukturen,
die dieses Feld beherrschen und im Wettbewerb stehen.
Der aus diesem Wettbewerb entstehende Effekt im Werteausgleich bewirkt einen Preisdruck über den Einkauf in die vorgelagerten Wertschöpfungsstufen. Die eine Folge ist, dass viele kleinere Betriebe auf allen Stufen nicht mehr mithalten können und aufgeben. Die andere ist, dass auch in diesen vorgelagerten Betrieben bis einschließlich zum Landwirt selbst Arbeitsteilung und technische Produktionsmittel zum Einsatz kommen, die dann, wie zuvor bereits erwähnt, einen gewaltigen Einfluss auf die ökologischen oder biologischen Zusammenhänge haben. Eigentlich hat in diesem Wirtschaftssystem die Landwirtschaft keine Chance. Nicht zuletzt weiß auch die Politik dies und versucht, mit Subventionen die Dinge etwas auszugleichen. In diesem Kontext ist der Landwirt mehr Opfer als Täter. Kann dies doch auf Dauer nicht gut gehen. Denn wer das Geld in Form von Subventionen gibt, bestimmt
auch in der heutigen Zeit die Regeln.
Der assoziative Gedanke
Wenn wir nun eine Landwirtschaft haben wollen, die ihren eigentlichen Aufgaben nachkommt, also, wenn wir Betriebe haben wollen, die ihren Hof als lebendigen Organismus einrichten, der eben nicht jede Arbeitsteilung mitmacht, dann wird es offensichtlich notwendig, dass die Akteure der Wertschöpfungskette, wovon die Landwirte ein wichtiger Teil sind, sich so zusammenfinden oder assoziieren, dass diese teils extremen Gegensätze in einen Austausch kommen. Das heißt nichts anderes, als dass wir die Kette in einem Kreis zusammenschließen, also eine Assoziation bilden, innerhalb derer keine bilateralen Gespräche oder Verhandlungen stattfinden, sondern solche, bei denen alle Beteiligten ihre Bedürfnisse und Möglichkeiten einbringen und gemeinsame Lösungen gesucht werden. Rudolf Steiner beschreibt das so: „… Dazu ist notwendig, den volkswirtschaftlichen Prozess durch unmittelbare menschliche Erfahrung gewissermaßen im Status nascendi zu erfassen, immer drinnen zu stehen. Das kann niemals der Einzelne, das kann auch niemals eine über eine gewisse Größe hinausgehende Gesellschaft, zum Beispiel der Staat; das können nur Assoziationen, die aus dem wirtschaftlichen Leben selbst herauswachsen und deshalb aus dem unmittelbaren lebendigen wirtschaftlichen Leben auch wirken können …“
Notwendige Vorbedingungen
Im zehnten Vortrag des nationalökonomischen Kursus thematisiert Rudolf Steiner die Voraussetzungen für die von ihm geforderten Assoziationen. Zuerst betont er interessanterweise, dass das Streben nach Vorteil und Gewinn der absolut notwendige und berechtigte Antrieb jeder Wirtschaft ist und dies nicht moralisch zu bewerten sei. „… Und dieser Gewinn, der ist nicht etwas bloß Abstraktes; dieser Gewinn, an dem hängt das unmittelbare wirtschaftliche Begehren des Menschen und muss daran hängen. Ob der Betreffende Käufer oder Verkäufer ist, es hängt sein wirtschaftliches Begehren an diesem Gewinn, an diesem Vorteil. Und dieses Hängen an diesem Vorteil ist dasjenige, was eigentlich den ganzen volkswirtschaftlichen Prozess hervorbringt, was die Kraft in ihm ist …“
Es ist demzufolge durchaus richtig, dass jeder Beteiligte in einer Assoziation seine eigenen Interessen einbringt, es ist aber gleichwohl absolute Voraussetzung, dass jeder auch einen Sinn dafür mitbringt, dass es eine Gewinnsituation für alle ist, wenn nicht nur einer das größte Stück des Kuchens abbekommt: „… in diesen Assoziationen wird Gemeinsinn darinnen sein müssen, wirklicher Sinn für den ganzen Verlauf des ganzen volkswirtschaftlichen Prozesses. Denn der Einzelne, der unmittelbar verbraucht, was er einkauft, der kann nur seinen egoistischen Sinn befriedigen… Dagegen in dem Augenblick, wo sich in den volkswirtschaftlichen Prozess das assoziative Wesen hineinstellt, in diesem Augenblick wird ja das unmittelbar persönliche Interesse nicht da sein, sondern die Überschau wird tätig sein über den volkswirtschaftlichen Prozess; es wird das Interesse des anderen mit in dem volkswirtschaftlichen Urteil drinnen sein …“ und weiter sagt er „… Das ist in Assoziationen wirkender objektiver Gemeinsinn – Gemeinsinn, der nicht hervorgeht aus irgendwelcher Moralinsäure, sondern aus der Erkenntnis der Notwendigkeiten des volkswirtschaftlichen Prozesses …“ Voraussetzung, dass eine solche Überschau möglich wird, ist, dass jeder betroffene Teilnehmer seine persönliche und betriebliche Situation transparent darstellt, sodass alle Beteiligten ein Bewusstsein zuerst für alle einzelnen Arbeitsprozesse und daraus für den Gesamtprozess entwickeln können: „… Das kann aber nicht auf anderem Wege sein, als dass die Menschen vereinigt sind, die nun wirklich in Bildern den volkswirtschaftlichen Prozess Stück für Stück innehaben und dadurch, dass sie vereinigt sind in den Assoziationen, eben sich gegenseitig ergänzen, gegenseitig korrigieren, so dass die richtige Zirkulation im volkswirtschaftlichen Prozess vor sich gehen kann …“
In der obenstehenden Zeichnung wurden die vorhin erwähnten Akteure der Wertschöpfungskette am runden Tisch versammelt dargestellt, und zwar so, dass deutlich wird, dass jeder einen realen Kontext mitbringt, der zunächst mal noch nicht im gemeinsamen Kreis bewusst ist.
Praktisches Beispiel
Damit die Sache etwas konkreter wird, nehmen wir an, dass es sich um das Thema Milch handelt. Der Landwirt hat nun die Möglichkeit, seine konkreten Maßnahmen zur Milcherzeugung darzustellen. Das beginnt natürlich bei seiner Naturgrundlage und endet bei den technischen Produktionsmitteln, wie zum
Beispiel der Melkanlage. Die verarbeitende Molkerei bringt ihren Hintergrund mit. Dazu gehört, wie die Milch von den Landwirten zur Molkerei gelangt, welche Techniken angewendet werden, welche Produkte hergestellt werden, aber auch, wo die eventuell überschüssige Milch hingeht. Ähnlich können Vertreter des Groß- und Einzelhandels, aber auch der Konsumenten ihre Situationen mit allen Möglichkeiten und auch Schwierigkeiten darlegen. Dazu gehören zum Beispiel die Beschreibung der anfallenden Kosten auf den jeweiligen Stufen sowie auch die Frage, inwiefern die Vertreter der Konsumenten den Endpreis für ihr Portemonnaie verträglich finden. Zitat von Rudolf Steiner dazu:
„Und auf solche Bilder – Bilder aus dem unmittelbar Anschaulichen – muss hingearbeitet werden, auch in der Volkswirtschaft. Das heißt aber in anderen
Worten: Wenn wir Volkswirtschaft richtig treiben wollen, müssen wir uns bequemen, in bildhafter Weise uns einzulassen auf Produktions-, Handels- und Konsumtionsereignisse … Es gibt keine andere Möglichkeit, als das wirtschaftliche Urteil nicht zu bauen auf Theorie, sondern es zu bauen auf die lebendige Assoziation, wo die empfindenden Urteile der Menschen nun real wirksam sind, wo aus der Assoziation heraus fixiert werden kann aus den unmittelbaren Erfahrungen, wie der Wert von irgendetwas sein kann.“
Mit diesem Vorgehen, das auf Freiwilligkeit beruht, wird deutlich, dass jede noch so kleine Einzelmaßnahme Konsequenzen auf das Ganze hat und dass eine gemeinsame Lösungsfindung letztendlich jedem Einzelnen zum Vorteil dient. Steiner sagt dazu, dass dies nur in dieser Weise möglich
sei, wenn: „… selbsttätige Vernunft sich geltend macht im volkswirtschaftlichen Prozesse …“
Diese selbsttätige Vernunft, die sich in den Assoziationen bilden kann, ist die eigentliche Ordnungsinstanz, die ähnlich wie der von Steiner erwähnte Regulator im menschlichen Organismus ist, der die sonst wild verlaufenden Prozesse steuert. Sie ist in einem gewissen Sinne der Gegenpol zur unsichtbaren Hand des Marktes, die sich ausschließlich auf das egoistische Vorteilsstreben des Einzelnen beruft.
Das oben Dargestellte kann zuallerletzt noch dadurch ergänzt werden, dass die Landwirtschaft mit seinen Organen Boden, Pflanzen und Tiere in direktem
Bezug zur Schöpfung und zum Kosmos steht. Die Bedingung zur Selbstversorgung liegt darin begründet.
Der biodynamische Landwirt, wie auch alle anderen, steht und wirkt in diesem Hoforganismus. Er steht aber auch im Sozialorganismus drinnen. Wenn dieser nur marktwirtschaftlich nach Adam Smith funktioniert, ist er ziemlich verloren. Wenn es aber möglich wird, dass der Landwirt sich mit anderen Akteuren in der Wertschöpfungskette assoziieren kann, dann wirkt der Hoforganismus über den Assoziationsorganismus in die Gesellschaft hinaus und in die Zukunft hinein. Das ist eine Perspektive, für die es sich lohnt, sich zu engagieren. Aus dieser Betrachtungsweise heraus erkennen wir, dass es weitaus komplexer ist. Gab es aber schon früher Ähnliches wie Assoziationen, denken wir nur an den Raiffeisenverbund. Dort konnte man direkt die landwirtschaftlichen Produkte zu fairen Preisen erwerben. Auch sollten wir darüber nachdenken, ob es die großen Handelsketten in dieser Form in der Zukunft noch braucht oder ob wir durch andere Wege wieder näher an den Produzenten – hier den Landwirt – herankommen. Hier gibt es viele gute Beispiele wie die Bewegung der Solawi (solidarische Landwirtschaft) zeigt. Wir sind freie Wesen und können jeden Tag entscheiden, was uns Waren wert sind.
Wir als Verbraucher können durch unser Kaufverhalten vorgeben, was in den Regalen zu finden ist. Nutzen wir diese Chance. (tl)
Quelle: Rudolf Steiner, Texte aus dem Nationalökonomischen Kurs.
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