Psychoneuroimmunologie
Wie Gefühle den Körper krank machen können
Univ.-Prof. Dr. Dr. Christian Schubert, Psychoneuroimmunologe und Buchautor
In den vergangenen zwei Jahren wurden wir permanent daran erinnert, wie gefährlich Viren für unsere Gesundheit sind, sie sogar tödlich sein können. Was hat das beim einzelnen Menschen ausgelöst? Eine dauernde Beschallung von negativen Nachrichten, wie wirkt das auf uns Menschen? Damit beschäftigt sich die Wissenschaft der Psychoneuroimmunologie (kurz PNI). Einen Vertreter dieser Wissenschaft haben wir auf einem Vortrag kennengelernt – Univ.-Prof. Dr. Dr. Christian Schubert.
Wenn wir auf der Grundlage von Paracelsus das heutige Bild der klassischen Medizin betrachten, so erkennen wir sehr schnell, dass davon nur noch sehr wenig übrig ist. Die Medizin hat nach Paracelsus auf Natur- und Gotteserkenntnis zu fußen. Zum Verständnis der Dinge und damit auch der Krankheiten und ihrer richtigen Behandlung seien einerseits empirische Befunde, andererseits – und weitaus wichtiger – die Betrachtung des Großen und Ganzen notwendig: „Denn der Mensch kann nur vom Makrokosmos erfasst werden, nicht aus sich selbst heraus. Erst das Wissen um diese Übereinstimmung vollendet den Arzt.“ (Opus Paramirum, 1531).
Der Blick auf das große Ganze bleibt heute in der Behandlung meist völlig unberücksichtigt. Es wird sehr schnell zu einer medikamentösen Behandlung gegriffen, ohne dass andere Gesichtspunkte mit einfließen. Aber dass es da einen Zusammenhang gibt, kann mittlerweile auch wissenschaftlich nachgewiesen werden. Prof. DDr. Schubert fordert in seinen Vorträgen eine Integration der Psyche in den Behandlungsprozess. Beschäftigt man sich mit einem Menschenbild, das erkennt, dass wir Seele/Geistwesen sind und einen physischen Körper bewohnen, dann liegt dieser Schluss nahe. Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass die heutige Medizin dieses Menschenbild nicht mehr kennt und was können wir heute von der Antike wieder lernen?
Die Geschichte
Im Jahre 869 n. Chr. fand das Konzil von Konstantinopel statt. Einer der entscheidenden Beschlüsse dort war, dass ab sofort der Geist(1) und das Geistige nicht mehr klar definiert werden durften. Es wurde unter Androhung der Todesstrafe verboten, über den „Geist“ zu sprechen. Weiter fand eine Aufteilung zwischen dem Körper und der Seele statt. So hatte sich die Kirche ab sofort um die Seele zu kümmern und die Ärzte um den physischen Körper. Der Geist – das Geistige wurde komplett verbannt. Es wurde ab diesem Zeitpunkt nicht mehr von Körper, Seele und Geist gesprochen, sondern nur noch von Körper und Seele. Wer noch von „Geist oder Geistigem“ sprach, wurde verfolgt und als Ketzer verbrannt. Die Benediktinermönche behielten die ganzheitliche Denkweise bei. Die Folgen dieser Beschlüsse aus dem Jahr 869 n. Chr. können wir an der heutigen Lebensweise der Menschen und der Art und Weise der Medizin deutlich erkennen. Viele erfolgreiche Forscher und Mediziner sprachen trotzdem auch zu späteren Zeitpunkten noch vom Geistigen, so zum Beispiel Hildegard v. Bingen (1098 – 1179), die Äbtissin eines Benediktinerordens war.
1) Mit Geist sind die Inspirationen und Ideen gemeint, das wesenhafte hinter der Idee. Alle Materie um uns herum entstand durch Ideen/Inspiration. In der Geisteswissenschaft wird davon ausgegangen, dass Ideen von außen zu uns kommen und wir mit unserem logischen Verstand die Umsetzung in der Materie vollbringen. Es passiert nichts zufällig. Inspirationen können nur in Ruhephasen zu einem kommen, sonst ist man zu sehr in seinem Verstand und in der Materie verhaftet und abgelenkt.
Das Wissen starb also nicht ganz aus, wurde aber an den Rand gedrängt. Dort steht es heute noch und will wieder entdeckt werden. Die von Rudolf Steiner und Ida Wegmann begründete anthroposophische Medizin basiert darauf, den Menschen als ganzes Wesen wahrzunehmen, als Körper, Seele und Geistwesen, denn nur als solches kann Heilung stattfinden. War den früheren Gelehrten doch klar, dass Körper und Seele erkranken können, allein der Geist kann niemals erkranken, da er an das höhere Geistige angebunden ist – sofern dies in unseren heutigen Zeiten noch gelingt. Das sollte man immer im Hintergrund behalten. Unsere heutige Medizin behandelt vor allem den physischen Körper und vernachlässigt die Seele.
Man bestreitet sogar die Existenz einer Seele, auch wenn alle großen Gelehrten und Wissenschaftler der Vergangenheit in ihren Ausführungen von einer höheren nicht-materiellen Instanz sprechen, so zum Beispiel:
Albert Einstein:
„Was Materie angeht, lagen wir alle falsch. Was wir Materie nannten, ist Energie, dessen Schwingung so gesenkt wurde, dass sie für die Sinne wahrnehmbar wird. Es gibt keine Materie.“
Nils Bohr:
„Materie besteht zu 99,9999999999999 % aus leerem Raum und macht sich nur durch unsichtbare Kräfte (Energie) bemerkbar. Unsere klassische Vorstellung von „fester Substanz“ ist lediglich ein Produkt unserer Wahrnehmung.“
Erwin Schrödinger:
„Aus regelmäßigen Bewegungen wurden Schwingungen, und aufgrund ihrer Regelmäßigkeit wurden die Schwingungen zu Naturgesetzen, zu lebenden, intelligenten und objektiven Kräften, mit denen die Entwicklung des Universums ihren Anfang nahm.“
Rupert Sheldrake:
„Das morphische Feld spannt sich in unsichtbaren Netzen um die Erde und bildet ein alles durchdringendes Energiefeld. Darin gibt es weder Abgrenzungen noch Grenzen. Milliarden von Informationen werden auf diese Weise von Feld zu Feld übertragen. Das menschliche Gehirn nimmt Informationen über Frequenzen/Schwingungen aus diesen Feldern auf.“
Carl Gustav Jung:
„Die Natur ist nicht nur Materie, sie ist auch Geist.“
Gefühle lösen Körperreaktionen aus
Eine noch recht junge Wissenschaft beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Gefühlen auf unseren Körper und ganz besonders auf unser Immunsystem – die Psychoneuroimmunologie.
Die Psychoneuroimmunologie entwickelte sich erst vor etwa 50 Jahren als neues Forschungsgebiet, mit ihren Grundpfeilern waren Ärzte aber schon in der Antike vertraut – dass Körper und Seele eine Einheit darstellen. (siehe Paracelsus)
„Noch vor 50 Jahren“, so berichtet Christian Schubert, „waren Mediziner der Meinung, dass unser Immunsystem autonom, das heißt völlig unabhängig arbeitet und mit den anderen Systemen des Körpers nicht kommuniziert. Mittlerweile weiß man aber: Das Immunsystem ist kein Einzelgänger,
sondern arbeitet sozusagen im Team. Psyche, Gehirn und Immunsystem sind eng miteinander verknüpft.“
Einer der Pioniere, Robert Ader, fragte sich noch in den 1980er-Jahren frustriert:
„Warum können Immunologen einfach nicht verstehen, dass immunologische Reaktionen niemals isoliert betrachtet werden dürfen, sondern immer im Zusammenspiel mit psychosozialen und psychischen Faktoren?“
Einen Durchbruch erlebte die Psychoneuroimmunologie, als im Labor nachweisbar wurde, dass Gefühle immunologische Reaktionen im Körper auslösen. Um diese Verbindungen auch im Alltag genau untersuchen zu können, entwickelten die Forscher in Innsbruck in den zurückliegenden 25 Jahren ein neues Studiendesign, die sogenannte integrative Einzelfallstudie. Dabei protokollieren Testpersonen täglich ihre Stimmung und andere Befindlichkeiten und
sammeln gleichzeitig Proben ihres Urins. Wöchentliche Interviews geben Auskunft darüber, welche emotional bedeutsamen Ereignisse erlebt wurden. Bei den Auswertungen ergaben sich auffällige zeitliche Korrelationen: Wenn die Testpersonen emotionalen Belastungen ausgesetzt waren, veränderte sich die Konzentration der immunologischen Marker in zyklischer Form, was auf Regulationsphänomene hinweist und nochmals deutlich macht, wie wichtig kontinuierliche Messungen über einen bestimmten Zeitraum sind. Solche zyklischen Veränderungen in den Immunmarkern finden sich bei Gesunden und auch bei Krebspatienten. Von Anfang an richtete die Psychoneuroimmunologie ihren Fokus auf die Stressforschung. Dass Stress eine Gesundheitsgefahr darstellt, ist längst bekannt. Selbst die Weltgesundheitsorganisation WHO bezeichnet chronischen Stress als eine der größten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts.
Die PNI nahm die Zusammenhänge genauer unter die Lupe und fand heraus: „Es ist erwiesen, dass ein Krankheitserreger, ein Sonnenbrand oder ein Beinbruch sehr ähnliche Reaktionskaskaden erzeugen wie Zorn über den Partner, Angst um den Arbeitsplatz oder Stress bei einer Prüfung“, sagt der Psychoneuroimmunologe Christian Schubert.
Chronischer Stress schwächt die Immunabwehr
Die Psychoneuroimmunologie unterscheidet zwischen akuter und chronischer Stresseinwirkung. Bei akutem Stress wird der Körper kurzfristig leistungsfähiger. Dabei spielen die Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol eine große Rolle. Sie helfen, Herausforderungen zu bewältigen und sind Teil unserer aus der Evolution hervorgegangenen Ausrüstung für den Überlebenskampf. Im Rahmen einer akuten Stressreaktion wird sogar die Immunaktivität hochgefahren, die natürlichen Killerzellen werden aktiver. Der Organismus wappnet sich also besser, damit geht aber auch eine gesteigerte Entzündungsaktivität einher. Diese kann kurzfristig helfen, Erreger besser abzuwehren, wiederholte, lang andauernde Entzündungsaktivität kann dem Körper jedoch schaden.
„Müssen wir zum Beispiel mit einem Chef auskommen, der uns schlecht behandelt, gehören Streitigkeiten mit dem Partner zur Tagesordnung oder verlieren wir den Job, dann kommt es stressbedingt immer wieder zu Blutdruckerhöhungen, Herzfrequenzsteigerungen, Zucker- und Fettmobilisierungen sowie Verringerungen des Immunschutzes und Anstieg der Entzündungsaktivität“, erklärt Christian Schubert. Das kann langfristig zu schweren Erkrankungen wie zum Beispiel Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes oder sogar Krebs führen.
Die Rolle von Stress für Autoimmunkrankheiten
Mediziner kennen 70 bis 80 chronische Entzündungskrankheiten, die unter dem Begriff Autoimmunkrankheiten zusammengefasst werden. Ob rheumatoide Arthritis, Lupus erythematodes, Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa – diese Erkrankungen lassen sich nach den bisherigen Erkenntnissen der Schulmedizin nicht heilen, sondern nur symptomatisch behandeln. Ursache und Auslöser gelten als nicht geklärt. Bekannt ist aber, dass autoreaktive T-Zellen gesunde
Körperzellen angreifen – somit stellt dies eine Regulationsstörung im Immunsystem dar. Die PNI geht der Frage nach, welche Rolle Stress bei der Entstehung von Autoimmunerkrankungen spielt. Auch dies wird in Innsbruck anhand von integrativen Einzelfallstudien näher untersucht.
Dabei beobachteten die Wissenschaftler, dass es einen Zusammenhang zwischen nicht wahrgenommener Wut und der Entwicklung einer Autoimmunkrankheit geben könnte – die Aggression richtet sich gegen den eigenen Körper anstatt nach außen, so die Annahme der Forscher.
Die Ursache für diese Fehlverarbeitung von Emotionen liegt oft tief in der Kindheit. Dabei haben PNI-Forscher beobachtet, dass der menschliche Körper den frühen Stress (zum Beispiel eine Missbrauchserfahrung oder eine andere Traumatisierung in der Kindheit oder Jugend) eine ganze Weile kompensieren kann – bis dann ein sogenannter „Crash im Stresssystem“ stattfindet. Dabei ist die Reaktion auf Stressreize derart gestört, dass es zu stressbedingten
Entzündungsanstiegen (silent inflammation) und langfristig sogar zu einer schweren Entzündungserkrankung, zum Beispiel einer Autoimmunerkrankung kommen kann.
Die psychoneuroimmunologischen Untersuchungen belegen auch, dass Psychotherapie oder verwandte Methoden helfen können, einen anderen Umgang mit Stress zu erlernen und so das Krankheitsgeschehen positiv zu beeinflussen. Auch wenn die Forschungen längst nicht abgeschlossen sind, plädieren Psychoneuroimmunologen jetzt schon für ein Umdenken in der Medizin. Die untrennbare Verbindung von Körper und Gefühlen betrachten sie als nachgewiesen. Sie sollte deshalb bei der Behandlung von Patienten stärker berücksichtigt werden.
Wenn klar sei, dass emotionaler Dauerstress eine Rolle in der Krankheitsentwicklung spielt, dann sollten bei der Behandlung von schwerwiegenden Erkrankungen wie etwa Autoimmunkrankheiten auch Psychotherapie oder Entspannungsverfahren zum Einsatz kommen, um die Ursachen für den Dauerstress anzugehen. „Wenn man das nicht tut, sabotiert sich der Mensch quasi permanent selber“, urteilt Christian Schubert.
Natürliches Schutzkonzept Laut Prof. DDr. Schubert hat die Natur ein wunderbares „Schutzkonzept“ eingebaut, um Viren nicht beliebig an die Mitmenschen weiterzugeben. Wenn wir Krankheitssymptome entwickeln, schreit unser Körper förmlich nach einer Ruhephase, auch haben wir weniger Hunger und das Bedürfnis nach sozialem Kontakt sinkt. Das alles vermittelt unser aktiviertes Immunsystem dem Gehirn. Wenn wir uns jetzt hinlegen und Ruhe geben und nicht sofort zu Medikamenten greifen, kann die Infektion eingedämmt und die Erkrankung schnell ausgeheilt werden – „Der Schlaf heilt“ weiß schon der Volksmund. Wenn wir so lange zu Hause bleiben, wie wir schlapp sind, verschwenden wir also nicht unnötig Energie und stellen auch keine „Gefahr“ für unsere Mitmenschen dar. Nur unser heutiger Lebenswandel und die scheinbare „Unabkömmlichkeit“ lässt uns zu Medikamenten greifen, meist sogenannte Antiphlogistika2, die die vorhandenen Symptome unterdrücken. Doch das gaukelt nur eine scheinbare Heilung vor. In Wirklichkeit sind wir mit hoher Wahrscheinlichkeit noch infektiös und somit Virenüberträger. Das alles zeigt: „Die Mikrobe ist nichts, das Milieu ist alles.“ In anderen Worten: Wenn wir nach der Natur handeln, keine unnötige Energie verschwenden und ausreichend schlafen, sind wir in der Regel gut gegen Infekte geschützt.
Unser Körper sagt uns immer zuverlässig, was wir gerade brauchen. Diese Körpersprache zu erkennen und unserem Gefühl den erforderlichen Raum zu geben, ist die Aufgabe unserer Zeit, anstatt unnötige Angst vor einem Virus zu entwickeln und schon zu Beginn von ersten leichten Symptomen gleich zu Antiphlogistika oder sogar noch stärkeren Mitteln zu greifen.
Wir Menschen haben es auch hier selbst in der Hand, aktiv unseren Heilungsprozess zu unterstützen. Wichtig dabei ist, die Balance von Körper, Seele und Geist zu bewahren, sich die dafür nötigen Ruhephasen zu gönnen und wenn das Stresslevel und der psychische Leidensdruck zu steigen drohen, sich gegebenenfalls psychotherapeutische Hilfe zu holen. Prof. DDr. Schubert plädiert für:
„Aufbruch in eine neue Medizin – eine, die die körperorientierte Sichtweise hinter sich lässt und den Menschen als Ganzes ins Blickfeld setzt.“
Immer mehr seriöse Wissenschaftler erkennen an, was viele Menschen bereits fühlen, sie wollen als ganzer Mensch auch bei der Heilbehandlung gesehen und als solche behandelt werden. (tl)
Univ.-Prof. Dr. Dr. Christian Schubert
ist Psychoneuroimmunologe und Buchautor. Seit 25 Jahren ist er begeisterter Forscher und analysiert gemeinsam mit Kollegen die Wechselwirkungen zwischen Psyche, Gehirn (Nervenzellen und Neurotransmitter) und Immunsystem (Immunzellen und Zytokine).
Er ist der Meinung:
„Die Medizin konzentriert sich rein auf den Körper. Doch das ist nicht genug. Denn so wie Muskeln, Sehnen und Wirbel miteinander verbunden sind, so sind auch Körper und Seele als eine Einheit zu betrachten. Mich interessiert der Mensch als Ganzes. In all seinen Eigenheiten. Und ich weiß, dass genau hier der Schlüssel zu einer besseren, individuelleren und erfolgreicheren Medizin liegt.“