Die Rhythmen des Lebens
Sonne, Mond und Erde
„Spiritualität und Wissenschaft können viel voneinander lernen: die Wissenschaft von der Spiritualität die Demut vor der göttlichen Schöpfung und dem Leben, die Spiritualität von der Wissenschaft das Beobachten und Hinterfragen.“
– Dagmar Steigenberger
Auch wenn unser heutiges Leben inmitten von Hightech es uns fast vergessen lässt: Wir Menschen sind wie alle anderen Lebewesen auf diesem Planeten in unzählige Rhythmen eingebettet. Sie uns bewusst zu machen und sie in den Alltag zu integrieren, das ist eine der zentralen Aufgaben, denen wir uns in der heutigen Zeit stellen dürfen.
Der Tag-Nacht-Zyklus oder auch der Zyklus der Jahreszeiten: Diese Rhythmen sind zwar so selbstverständlich, dass sie kaum einer Erklärung bedürfen. Aber unsere technischen Errungenschaften erschweren es uns immer mehr, die verschiedenen Qualitäten auch am eigenen Körper wahrzunehmen. Wie muss es dann erst beim Mond sein, dessen Zyklen sich zwar ohne Zweifel auf das Leben auf der Erde auswirken, die aber viel komplexer sind als diejenigen der Sonne? Der Mond fasziniert die Menschen seit jeher: so schwer zu durchschauen mit seinen vielschichtigen Rhythmen, mit seinen Wirkungen auf die Erde und doch so präsent an unserem Himmel.
Er lässt ganze Meere steigen und fallen, sein Zyklus ist auf rätselhafte Weise mit demjenigen der Fruchtbarkeit verbunden – nicht nur bei uns Menschen, auch bei vielen Tieren. Selbst die Pflanzen blühen und verwelken im Rhythmus der Mondphasen. „Vor allem sie!“, findet Dagmar Steigenberger. „In diesem Frühjahr war das besonders deutlich, vermutlich wegen dem langfristig schönen Wetter ohne viele Wolken am Himmel. Da konnten Sonne und Mond mit voller Leuchtkraft auf die Pflanzen einwirken.“
Dagmar ist Wildnispädagogin. Sie lebt auf einem einsamen Hof in der wald- und wiesenreichen Hügellandschaft südlich von München und beobachtet den Sternenhimmel ebenso leidenschaftlich gern wie die Natur.
Vor einigen Jahren hat sie zusammen mit ihrem Lebensgefährten Hans Peter Kraus einen immerwährenden Sonne-Mond-Kalender entwickelt, der die Zyklen der zwei größten Gestirne an unserem Himmel veranschaulicht.
Wie es dazu kam
Die Liebe zum Sternenhimmel wurde Dagmar in die Wiege gelegt: Als Tochter eines Physikers, der sich in der Erwachsenenbildung auf Astronomie spezialisiert hatte, durfte sie schon früh durch Teleskope und Fernrohre schauen. „Während mir mein Vater das erste Mal Sternbilder wie Kassiopeia, Orion und den Großen Bären gezeigt und natürlich auch die Mythen dazu erzählt hat, haben sich die Sterne dort oben in Götter, Fratzen und wilde Bestien verwandelt“, erzählt sie. „Das hat mich erschreckt und fasziniert zugleich.“ Zu ihrem heutigen Spezialgebiet, dem Mond, kam sie allerdings über die Astrologie. „Dieses Wissen wird immer fälschlich in die Esoterik-Ecke gestellt“, findet Dagmar.
„Eigentlich sind die Tierkreiszeichen etwas ganz Nüchternes, das die Menschen zur Messung der zyklischen Zeit zu Hilfe genommen haben.“ Astronomie und Astrologie: Für Dagmar gehört beides zusammen. Denn ohne die Beobachtung des Sternenhimmels, da ist sie sich sicher, hätten unsere steinzeitlichen Vorfahren nie rechtzeitig Vorkehrungen für den Winter treffen können. Sie wären erfroren und verhungert.
Hans Peter ist auf dem Hof aufgewachsen, auf dem die beiden heute leben. Als kleiner Bub hat er das anstrengende Kleinbauern-Leben und die Abhängigkeit von den Jahreszeiten noch hautnah erlebt. Zusammen mit dem Hof hat er auch einen Wald übernommen, den er wie seine Vorfahren nachhaltig und entsprechend den Regeln von Sonne und Mond bewirtschaftet. „Der Wald war die wertvolle Absicherung für Notzeiten“, erklärt Hans Peter. „Entsprechend wurde er über Generationen hinweg gehegt und gepflegt.“
Das Holz, das er zur dunkelsten Zeit des Jahres zwischen der Wintersonnwende und dem darauffolgenden Neumond schlägert, ist das besondere Mondholz. Über Jahre hinweg gelagert, erübrigt sich die Trockenkammer. „So bleibt es geschmeidiger als herkömmliches Holz und bewahrt seinen natürlichen Glanz.“ Zum Beweis nimmt der Schreiner in seiner Werkstatt eine mehrere Meter lange, dünne Leiste und schwingt sie durch die Luft. „Wäre das Holz aus der Trockenkammer, würde es jetzt brechen.“ Die beiden vereinten ihr Wissen – das praktizierte wie das theoretische – und fassten es in die runde Form jenes Sonne-Mondkalenders, den sie mittlerweile schlicht „das Mondrad“ nennen.
Immerwährender Mondkalender
Eigentlich war Dagmar nur auf der Suche nach einem Jahreskreis, der neben den Jahreszeiten auch die Mondphasen darstellt. Vergeblich, also begann sie selbst zu basteln, zu recherchieren, zu beobachten … so lange, bis sich Hans Peter mit seinem Know-how als Schreinermeister einklinkte.
Die Prototypen bauten sie noch selbst. Mittlerweile gibt es drei Versionen des Mondrades: eine astronomische und eine astrologische, die beide an der Wand hängen, und außerdem noch ein Tisch-Mondrad, das Sonne und Mond wahlweise nach beiden Systemen anzeigt.
Zur Vertiefung gibt es ein Handbuch mit Erläuterungen zu den aktuellen Sonnen- und Mondständen und zu den Auswirkungen auf Mensch und Natur. Da es den beiden Erfindern ein großes Anliegen ist, die Menschen zum Beobachten anzuregen und sie damit wieder stärker mit den Zyklen der Natur in Verbindung zu bringen, haben sie bewusst auf ein Uhrwerk verzichtet. Wer dem Mond mithilfe des Mondrades auf die Spur kommen will, muss dieses „archaische Präzisionswerkzeug“, wie Hans Peter es nennt, schon selbst alle paar Tage ein Stück weiterdrehen.
Dagmar Steigenberger:
• Ein schönes und vielseitiges Buch, um gemeinsam mit Kindern die Geheimnisse des Mondes zu entdecken, ist von Hannah Pang und Thomas Hegbrook „Der Mond. Mystische Geheimnisse und wissenschaftliche Fakten“ (360 Grad Verlag 2018).
• Wer tiefer einsteigen will in die wissenschaftlichen Studien zur Mondwirkung, findet beim Schweizer Holzwissenschaftler Ernst Zürcher und bei seinem österreichischen Kollegen Erwin Thoma gute Literatur, zum Beispiel „Die Bäume und das Unsichtbare“ (Zürcher, AT Verlag 2016) oder „Holzwunder“ (Thoma, Servus Verlag 2020). Weitere, ältere Studien zur Mondwirkung auf Pflanzen gibt es von Hartmut Spieß, Maria Thun oder Lily Kolisko.
• Zwei ganz aktuelle Studien von Chronobiologen aus dem Jahr 2021 belegen die Mondwirkung auf unser Schlafverhalten (Leandro Casiraghi, University of Washington) und auf den weiblichen Menstruationszyklus (Charlotte Förster, Universität Würzburg).
Anmerkung
Der feine Unterschied zwischen Sternzeichen und Sternbildern
Bei der Beobachtung von Sonne, Mond und Planeten haben sich die Menschen seit jeher an den Fixsternen orientiert. Um die Formationen am nächtlichen Himmel einfacher zu erkennen, verbanden die Menschen diese zu Sternbildern und gaben ihnen Namen. Die Sternbilder des Tierkreises erhielten ihre Namen vor gut 2.000 Jahren und liegen allesamt auf der Ekliptik – auf der Bahn, die Sonne, Mond und Planeten regelmäßig über unseren Himmel ziehen. Die Tierkreiszeichen bilden also eine Art Zifferblatt für die Zeiger der Himmelsuhr. Nun gibt es allerdings zwei Zifferblätter:
Beide funktionieren zwar nach derselben Reihenfolge von Widder bis Fische. Aber dasjenige der klassischen Astrologie weicht mittlerweile um fast ein ganzes Sternzeichen von den tatsächlich beobachtbaren Sternbildern der Astronomie ab. Der Grund dafür ist die Präzession der Erdachse, sprich die Erde taumelt bei ihrer Drehung um sich selbst wie ein Kreisel, nur viel langsamer. Für eine Taumel-Runde braucht sie rund 26.000 Jahre.
Vor 2.000 Jahren waren Sternbilder und Sternzeichen noch eins. Damals beobachteten die Sterngucker, dass die Sonne mit der Frühlings-Tagundnachtgleiche am 20./21. März ins Sternzeichen Widder eintritt und dass damit in der Natur der Startschuss für den Frühling fällt. Ein wichtiger Orientierungspunkt für die Landwirtschaft! Deshalb findet die Frühlings-Tagundnachtgleiche
– also der Zeitpunkt, an dem die Sonne im Lot über dem Äquator steht und damit Tag und Nacht auf der ganzen Erde gleich lang sind – auch heute noch am 20./21. März statt. Doch der Sternenhimmel hat sich eben aufgrund der Präzession der Erdachse seither um fast ein ganzes Sternbild verschoben, sodass die Sonne heutzutage an diesem Tag eigentlich noch weit in den Fischen steht. Alle 72 Jahre wird der Abstand um ein Grad größer. Bei den 30 Grad, die jedes Tierkreiszeichen einnimmt, verschiebt sich das astronomische Zifferblatt im Vergleich zum astrologischen also alle 2.200 Jahre um ein ganzes Zeichen. In knapp 24.000 Jahren werden beide wieder identisch sein.