Kreise statt Pyramide
Von den Ahnen lernen
„Rund ist die Urform unseres Lebens”, sagt Galsan Tschinag, Schamane der mongolischen Altai-Tuwiner. Der Kreislauf des Werdens und Vergehens und wieder Werdens bestimmte lange Zeit, wie die Menschen die Welt wahrnahmen – und wie sie ihre Umwelt dann auch gestalteten. Der Kreis spiegelte sich wider in ihrer Kunst, in ihrer Architektur und eben auch in ihren sozialen Strukturen und somit auch im Denken. Unsere Vorfahren orientierten sich an dem, was wiederkehrt, an Ähnlichkeiten, sie dachten in Vergleichen und in mythologischen Geschichten.
ILF Engineering Austria, RumFoto: ILF Engineering Austria, Rum.
Unsere heutige, mitteleuropäische Kultur hat sich von der natürlichen runden Form weitgehend verabschiedet: In der Architektur, in der Kunst,
im Denken und auch in den sozialen Strukturen sind andere Formen in den Vordergrund gerückt. An die Stelle des Runden und Zyklischen ist das Lineare
getreten, das Einzigartige, Unvergleichliche, mit einem Anfang und einem Ende. Jedoch aus dieser eingeschränkten Perspektive
passiert alles nur ein einziges Mal und man glaubt: Diese eine Chance, die darf auf keinen Fall verpasst werden, denn sie kommt vermeintlich niemals wieder und so hetzen wir weiter, immer höher, schneller, weiter und besser.
Gleichzeitig treten bereits seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts immer wieder Versuche und Modelle der Zusammenarbeit
und des Zusammenlebens auf, die genau diese ursprüngliche „runde Form“ wieder aufgreifen. Die Herausforderung unserer Zeit besteht darin, die Urform des Kreises in eine soziale Struktur, wie zum Beispiel einer Organisation oder auch wieder in unser gesellschaftliches Leben zu bringen. Unser lineares Denken hat uns Menschen und die uns umgebenden Systeme an den Rand des Kollapses gebracht. Allerorts sehen wir in den westlichen Ländern Stress und Hektik im Alltag, wie auch in der Freizeit. Die Burnout-Rate steigt ebenso wie die Krankentage, von unserer Umweltproblematik ganz zu schweigen. Diese Entwicklung macht auch vor unserem sozialen Gefüge nicht halt, es gerät immer mehr ins Wanken. Vielleicht ist es eine gute Gelegenheit, innezuhalten und über die Systeme und Strukturen der Urvölker und unserer Ahnen etwas genauer nachzudenken, um sie auf die heutige Zeit zu übertragen.
In Kreisen zu denken und soziale Strukturendarauf aufzubauen muss nicht kompliziert sein. Das Runde ist ein Prinzip, das wir in der Natur wie auch im Kosmos vielfach wiederfinden und wir Menschen sind ein Teil des Kosmos.
Wir fühlen es innerlich, leben aber im Alltag überwiegend in hierarchischen Strukturen. Unternehmen, die wieder mehr in Kreisen denken, weisen eine
deutlich höhere Arbeitsplatzzufriedenheit auf und die Menschen dort übernehmen intrinsisch motiviert wieder mehr (Selbst-)Verantwortung für ihr Denken und Handeln – genau das, was sich viele Unternehmenslenker und Führungskräfte eigentlich wünschen. Es müssen dafür nur auch die passenden Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Das, was in den heutigen Unternehmenneben dem faktenbezogenen und linearen, logischen Denken dafür am meisten im Wege steht, ist der Egoismus.Getrieben von der Vorstellung oderder Angst, überflüssig zu werden, nicht mehr wichtig zu sein oder den klassischenStatus einer Führungskraft zuverlieren, hindert immer wieder daran,neue Wege zu gehen. Überholte Denk- und Verhaltensweisen, die nicht mehr dem aktuellen Zeitgeist entsprechen, gilt es zu verändern und neu zu gestalten. Die Karrieren der Zukunft nehmen neue Formen an und begründen sich auf einer werteorientierte Selbst- und Unternehmens-Führung.
Die Aufgaben und Verantwortlichkeiten in einer Organisation bleiben gleich, sie fallen nicht plötzlich weg, nur weil man anders denkt und handelt. Jedoch wird die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt und die Rolle der klassischen Führungskraft bekommt eine andere Färbung. Führungskräfte übernehmen viel mehr die Rolle des Beraters, des Mentors oder die eines Coaches, der die Rahmenbedingungen für sein Team schafft und aktiv an der Ausrichtung des Unternehmens mitwirkt. Es übernimmt derjenige die Verantwortung, der zu einem speziellen Thema mehr Bewusstsein über die Dinge hat, sprich ganzheitliche Zusammenhänge aus verschiedenen Blickwinkeln einbringen kann. Damit dies gelingt, sollten Mitarbeiter aus verschiedenen
Fachabteilungen an Themen gemeinsam arbeiten, ganz besonders, wenn es sich um Innovationen und die strategische Weiterentwicklung handelt.
Dass dies Stress abbaut und dazu auch noch mehr Freude bereitet, wird häufig übersehen, denn dazwischen liegt ein Weg der Selbst-Reflexion und der Selbst-Erkenntnis. Diese Phase klärt Fragen wie zum Beispiel: „Wer bin ich abseits vom Status auf meiner Visitenkarte oder der Größe meines Firmenwagens? Was ist meine innere Motivation, Leistung für die Organisation zu erbringen? Welche Fähigkeiten und Talente kann ich für die Erledigung der täglichen Aufgaben optimal einsetzen?“ Bei Unternehmen, die sich mehr in Kreisen statt hierarchisch organisieren, wird das Ego-Verhalten in der Zusammenarbeit immer mehr vermieden, dafür kommt eine souveräne und kollegiale Ich-Stärke zum Einsatz. Damit dies gelingt, bedarf es eines steten Reflektierens der eigenen Person im Denken, Fühlen und Handeln. Letztendlich findet dadurch ein innerer Wachstumsprozess statt, der die Gestaltung einer
wertschöpfenden und ressourcenschonenden Zusammenarbeit maßgeblich unterstützt.
Das Wachstum entwickelt sich dann spiralförmig und stetig, in gesundem Einklang mit der Umwelt. (tl)
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