Artabana
Einblick in eine Solidargemeinschaft
Als Netzwerk aus Solidargemeinschaften erfüllt Artabana in Deutschland, der Schweiz und Österreich Aufgaben der Gesundheitsvorsorge und -Nothilfe. Die Menschen bei Artabana suchen eine Ergänzung zur staatlichen Krankenkasse. Sie möchten einen individuellen, selbstbestimmten Gesundheitsweg beschreiten. Doch Artabana ist weit mehr als eine zweckorientierte Gemeinschaft. Sie ist ein Ort für vielschichtige persönliche Entwicklungsmöglichkeiten.
„Kann das wirklich funktionieren?“
, fragt man sich, wenn zum ersten Mal dem Konzept hinter Artabana begegnet. Eine Gruppe von Menschen, die sich gegenseitig ohne jegliche Verträge zusichern, im Fall von Krankheit und vielen anderen schwierigen Lebenssituationen beizustehen, sich in Form von Geld und tätiger Arbeit zu helfen. Eine Art alternative Krankenversicherung, bei der es keinen festgelegten Leistungskatalog, wohl aber das Versprechen gibt, auch in medizinischen Extremsituationen vollumfänglich für ein Mitglied da zu sein.
„Ja, es funktioniert sogar sehr gut. Artabana ist eine riesengroße, tolle Geschichte”
, betont Tatjana Stenzel aus dem Vorstand von Artabana Deutschland e.V. „Unsere Gemeinschaft lebt die Selbstverantwortung, die man sich für die Gesellschaft als Ganzes wünscht. Das ist eine große Errungenschaft.”
Zum Hintergrund der Organisation
Eine Gruppe von Menschen um den Arzt Roland Koller gründete Artabana 1987 in der Schweiz. Von dort aus verbreitete sich der Impuls ab 1999 nach Deutschland und Österreich. Inzwischen umfasst Artabana alleine in Deutschland etwa über 3000 Mitglieder, untergliedert in mehr als 300 lokale Gruppen, die das zentrale Organ des Vereins darstellen. Dabei sind die jeweiligen Gemeinschaften sehr heterogen. Keine ist wie die andere. Häufig gehören zu einer Gruppe weniger als zehn Mitglieder, in wenigen Fällen sind es derzeit mehr. Diese größeren Gemeinschaften unterteilen sich in Untergruppen, um zu gewährleisten, dass die persönliche Atmosphäre und die Prozesse innerhalb der Gemeinschaft intakt bleiben. Alle Gruppen treffen sich monatlich mindestens einmal, gemeinsam nimmt man zusätzlich an regionalen und überregionalen Zusammenkünften teil.
Artabana ist nach dem Subsidiaritätsprinzip organisiert. Das bedeutet, dass alles, was auf der kleinen Ebene, also in der lokalen Gruppe, geleistet werden kann, auch dort erfolgt. Erst wenn Hilfe von außen nötig ist, kommt eine höhere Ebene unterstützend zum Einsatz. Dies bezieht sich auch auf die Geldtöpfe. Jede Gruppe hat ihr eigenes Konto. Viele Gruppen legen für sich einen Topf mit einem Volumen aus meist 60 Prozent der lokalen Beiträge fest. Hieraus speisen sich die Zuwendungen, wenn jemand Hilfe benötigt. Die restlichen 40 Prozent der Mitgliederbeiträge gelangen in einen „Regionaltopf“, aus dem verschiedene Gruppen Geld beziehen, wenn sie ein Hilfsversprechen nicht alleine leisten können. Dass man sich dann gegenseitig hilft, gehört zur gemeinsamen Philosophie und kommt durchaus häufiger vor. Zudem gibt es einen bundesdeutschen „Feuerwehr-Topf“ für besonders große Schadensfälle oder für solche, bei denen sehr schnell Geld fließen muss. Die Finanzsituation ist seit Jahren stabil. Ein unabhängiger, staatlich vereidigter Rechnungsprüfer attestiert Artabana regelmäßig eine solide Wirtschaftlichkeit. „Das Bundesgesundheitsministerium nimmt uns durchaus wahr und will uns als Bestandsschutz anerkennen. Trotzdem sind wir derzeit noch nicht als Gesundheitskasse anerkannt“, erklärt Tatjana Stenzel. Das liegt unter anderem daran, dass Artabana ihren Mitgliedern keinen festen Leistungskatalog anbietet, woraus sie einen Rechtsanspruch ableiten könnten. „So ein Rechtsanspruch auf eine medizinische Leistung würde die Idee von Artabana ohnehin ad absurdum führen“, erklärt Tatjana Stenzel. Jedes Mitglied wählt seinen ganz eigenen Heilungsweg und die dazugehörigen Medikamente oder Therapie-Modelle selbst – aus einer freien, persönlichen Entscheidung heraus. Ob diese Leistungen, die vielseitige alternative Behandlungsmöglichkeiten sowie Vorsorgemaßnahmen umfassen, durch die Gruppe finanziell gedeckt werden, hängt allein von der Zustimmung der anderen Mitglieder ab.
„Die medizinischen Leistungen, die unsere Gemeinschaft trägt, gehen weit über einen Standard-Leistungskatalog hinaus.“
Die Gruppe entscheidet
Jedes Jahr legen die Mitglieder fest, was jeder für sich an regelmäßigen Beiträgen für die Gruppe einbringen kann. Dieses Beitragsversprechen beinhaltet meistens auch die Haltung, zuerst mit dem eigenen Vermögen für die Gesunderhaltung aufzukommen. Erst wenn jemand mehr Kosten für Medikamente oder Therapien aufbringen muss, als er aus eigener Kraft schafft, richtet er eine Bitte um Hilfe an die Gemeinschaft. „Dann erörtern wir jeweils auf einer offenen, persönlichen und wohlwollenden Ebene, was der Einzelne braucht, um seinen eigenen Weg gehen zu können”, erklärt Wilfried Schmidt, der eine Artabana-Gruppe in Donaueschingen im südlichen Baden-Württemberg leitet. „Dann kommt eine Solidarität aus dem tiefen Wunsch heraus zum Ausdruck, dem anderen wirklich zu helfen. Jeder in der Gruppe hat seinen persönlichen Platz. Es gibt viele Anker für Situationen, wenn etwas schwierig wird, nicht nur im Gesundheitlichen. Und manchmal zeigt sich bei so einem Hilfegesuch, dass Geld gar nicht die Lösung ist.” Häufig wirke alleine die persönliche Anteilnahme schon stärkend auf eine Situation. Artabana-Mitglieder sind vielfach Selbständige in Kreativ- oder Heilberufen und im Handwerk sowie Künstler, wobei etwa ein Drittel von ihnen in der staatlichen Krankenkasse verbleibt. Man lernt sich im Laufe der Zeit und durch die vielseitigen Treffen, Veranstaltungen oder Unternehmungen auf einer sehr persönlichen Ebene kennen – die wesentliche Voraussetzung dafür, sich dann öffnen zu können, wenn es um eigene, gesundheitliche Themen geht. Im Gruppenprozess läuft so der Weg vom Ich in die Gemeinschaft. „Eine Befindlichkeitsrunde eröffnet jedes unserer Treffen“, erzählt Tatjana Stenzel von ihrer Gruppe in Dresden. „Dann erzählt jeder, was ihn gerade bewegt und wie es ihm geht, mental und körperlich.” Zuwendungen werden dem um Hilfe Bittenden als freiwillige Schenkungen gewährt, wenn alle Gruppenmitglieder damit einverstanden sind. „Das führt mitunter natürlich auch zu Widerständen, die es dann konstruktiv zu lösen gilt. Manchmal lohnt für die Beteiligten dann die Frage danach, was diese Resonanz mit ihnen selbst zu tun hat.” erwähnt Wilfried Schmidt.
Es kam und kommt auch vor, dass innerhalb von Artabana Mitglieder die Situation ausnutzen, lediglich eine billige Krankenkassenalternative suchen, aber nicht wirklich für die Gemeinschaft da sind und die Werte des Vertrauens, der Solidarität oder der Mildtätigkeit überbeanspruchen, sogar missbrauchen. Wenn es im Sozialen nicht stimmt, folgt dann der Austritt aus der Gemeinschaft.
Die Vision im sozialen Zusammenspiel
Das Soziale spielt bei Artabana eine elementare Rolle. Viele strukturbildende Leitplanken, die Artabana in ihrem Leitbild darstellt, weisen dabei Parallelen zum Modell der sozialen Dreigliederung auf, das Rudolf Steiner beschrieb. Die drei gesellschaftlichen Glieder, das heisst die Gebiete des Rechtslebens, des Geisteslebens und des Wirtschaftslebens sollten sich laut Steiner nach ihren eigenen Prinzipien weitestgehend selbständig entfalten. Diese drei Prinzipien lauten Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Artabana versucht diese, Ideale zu verwirklichen.
Das Ziel der Gemeinschaft ist es, die soziale Sicherheit zu fördern. Weiter sollen die Lebensbedingungen in mitmenschlichen Gemeinschaften und im Entwicklungsweg des Einzelnen verbessert werden. In den menschlichen Begegnungen entsteht jene Solidarität, die im Einzelnen ein Bewusstsein für Notlagen bildet. Wenn diese gemeistert werden, wächst das Vertrauen, aus dem heraus die Menschen den Mut für ihren eigenen Weg in Freiheit fassen.
Wir wollen ein Anker sein für Menschen in dieser unruhigen Zeit und stellen fest, dass ein großes Interesse an unserer Gemeinschaft besteht.
Im Leitbild heißt es: „Die rechtlichen Beziehungen in Artabana-Gemeinschaften haben zum Ziel, die Achtung der Persönlichkeit des Anderen und seine Gleichwertigkeit als Mitmensch im Lebensalltag sichtbar zu machen, sowie seine persönlichen Freiheiten zu garantieren. Grundlage ist die gegenseitige Anerkennung des Anderen und seiner Individualität, seiner persönlichen Entscheidungen und seiner Lebensführung.”
Besonders im Bereich des Wirtschaftslebens zeigt sich, dass bei Artabana anders und neu gedacht wird. Die wirtschaftlichen Tätigkeiten haben das Ziel, sozial heilsame Geldflüsse zu bilden. „Das Geld der Gruppen soll fliessen. Wenn Menschen um eine Leistung bitten, dann kommt das Geld in Fluss und es fliesst auch wieder zurück. Sobald wir erkennen, dass dieses Prinzip funktioniert, entstehen Vertrauen und Brüderlichkeit. Ein Vertrauen auch darauf, dass man sich tatsächlich vom staatlichen System lösen kann”, betont Tatjana Stenzel. Die Solidargemeinschaft Artabana sieht sich gerade in der aktuellen Zeit mit vielen Situationen konfrontiert, die ihrem Grundsatz von nahen Beziehungen und menschlichem Zusammenhalt zuwiderlaufen. Doch das birgt auch große Chancen. Wilfried Schmidt sieht sehr optimistisch in die Zukunft.
Und so entwickeln sich heute aus dem Bewusstsein, das Artabana schuf, Kontakte auch mit anderen Solidargemeinschaften. Visionäre Projekte entstehen, die viele Bereiche des Zusammenlebens neu denken. Denn im Gegensatz zur Gründungszeit von Artabana, geht es heute in den Gruppen um weit mehr als nur um Gesundheitsthemen. Die Gemeinschaft bietet eine Fülle von Entwicklungsmöglichkeiten, sowohl auf persönlicher als auch auf organisatorischer und gesellschaftlicher Ebene. Es ist ihr und auch anderen Solidargemeinschaften zu wünschen, dass die Zeiten sich ändern, damit die Ideen weiter gedeihen können. (ae)
Der Name Artabana leitet sich von der Legende des vierten Königs ab, der mit den Heiligen Drei Königen zum Gottessohn nach Bethlehem pilgern wollte und doch nie dort ankam. Denn immer wieder begegnete er auf seinem Weg Menschen in Not, denen er zu Hilfe eilte.
Lebenslang suchte er nach Jesus. Kurz vor seinem Tod erkannte Artaban, dass Jesus ihn während seines Lebensweges der Mildtätigkeit und Nächstenliebe schon immer begleitet hatte.
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