Beckenboden
Unsere Mitte und Balance
Innere und äußere Haltung. Stark und elastisch. Verschließend und haltend. Ausdauernd und explosiv. Selbstbestimmt und kraftvoll. Loslassen und entspannt. Kraftquelle und Lebensenergie. Präsenz und Verwurzelung. Tiefer Stabilisator und resilient – unser Beckenboden.
Als Körper- und Bewegungstherapeutin weiß ich um die zentrale Bedeutung des Beckenbodens, wenngleich er sich in der Tiefe unseres Körpers verbirgt und quasi aus dem Hintergrund arbeitet, hat er eine enorme Bedeutung für unsere Haltung und Ausstrahlung, auf unser Wohlbefinden und unsere Emotionen, unsere Stimmung sowie unsere Energie und Lebensfreude. Häufig erlebe ich, dass der Beckenboden mit zahlreichen Beschwerden in Verbindung
gebracht werden kann. Da er beispielsweise mit der Lende verbunden ist, können Beschwerden „im Kreuz“ auch mit dem Beckenboden zusammenhängen.
Der Beckenboden verschließt nicht nur unseren Beckenausgang und hält unsere Organe, sondern er ist auch eine Art Schlüssel zu unserer Haltung und Bewegung. Wenn wir dem Beckenboden mehr Aufmerksamkeit schenken, ihn kräftigen, ihn wieder in seine Balance bringen und uns seiner Bedeutung bewusst werden, kann dies durchaus zu mehr Ausgeglichenheit, Lebensfreude und Energie führen.
Um jedoch die Funktion unseres Beckenbodens zu verstehen, schauen wir uns zuerst die Lage und die Beziehung zu anderen Strukturen genauer an.
Der Boden unseres Beckens
Der Beckenboden liegt im sogenannten kleinen Becken und ist ein Konstrukt aus mehreren Muskelschichten und deren faszialen Strukturen. Man kann sich das Becken und den Beckenboden wie eine Art Schale vorstellen, die unsere Bauchorgane trägt. Flächige Muskeln und deren Faszien schließen als untere Wandfläche die Beckenhöhle ab. Sie geben der Harnröhre, der Vagina und dem Enddarm Durchlass und Verankerung. Die Bezeichnung „Beckenboden“ ist demnach wie eine Art Gesamtkonstrukt zu begreifen, denn die Beckenbodenmuskulatur ist eine Muskelgruppe, die aus vielen Muskeln besteht. Häufig ist es schwierig, sich ein Gesamtbild machen zu können, deshalb ist es vereinfacht leichter, sich die Beckenbodenmuskulatur in Schichten vorzustellen.
Grob lässt sich der Beckenboden in eine äußere, mittlere und innere Schicht einteilen. Diese Schichten sowie die Organe und die Beckenwand werden von Faszien umhüllt.
Die Unabhängige: Die äußere Schicht ist die unterste Schicht. Unsere Schließ- und Schwellkörpermuskeln des Urogenital- und Darmtraktes
bilden die äußere Schicht. Wie eine Acht liegen die Muskeln zwischen Schambein und Steißbein.
Aktivierung: Körperöffnungen schließen; zuschnüren.
Die Unterstützerin: Die mittlere Schicht wird in derLiteratur auch als Diaphragma urogenitale bezeichnet.Sie liegt zwischen den beiden Sitzbeinhöckernund dem Schambein. Bei der Frau wird diese mittlereSchicht von Harnröhre und Vagina durchbrochen.
Aktivierung: Sitzbeinhöcker zueinander ziehen und dabei die Gesäßmuskulatur entspannt lassen.
Die Heberin: Die innere Schicht wird als Diaphragma pelvis bezeichnet. Das Heben und Senken des Anus ist eine Aufgabe.
Aktivierung: Schambein und Steißbein zusammenziehen. Vorstellung wie ein Band zwischen diesen beiden Punkten in der Tiefe.
Aufgabe und Funktion des Beckenbodens
Im menschlichen Körper hat die Beckenbodenmuskulatur eine Art Doppelfunktion. Unsere Organe werden stabilisiert, gesichert und getragen. Er schützt vor ungewolltem Harn- und Stuhlabgang. Während der Geburt unterstützt er die Wehentätigkeit. Je besser er aktiv angespannt werden kann, kann er auch entspannen, was den Geburtsvorgang erleichtert.
Eine funktionelle Verbindung besteht zu unserer Bauchmuskulatur, den Rückenmuskeln, Muskeln, welche das Becken und die Hüften umgeben und dem Zwerchfell. Auch wenn der Beckenboden isoliert aktiviert werden sollte, ist eine Zusammenarbeit mit den oben genannten Muskeln von großer Bedeutung für unsere Haltung und Ausstrahlung. Hilfsmuskeln fungieren als Unterstützung, die die Aktivierung und die Funktion des Beckenbodens tragen.
Eine gute Durchblutung sowie ein gut trainierter Beckenboden können die Sexualität verbessern. Frauen, die ihre Beckenbodenmuskulatur präzise an- und wieder entspannen können, steigern nicht nur ihr eigenes Lustempfinden, sondern auch das ihres Partners. Denn für den Partner ist es lustvoll, wenn die Frau diese Muskeln beim Liebesspiel gezielt einsetzen kann. Dazu kommt: Wer sich mit seinem Becken vertraut fühlt, hat meist auch eine stärkere erotische Ausstrahlung.
Wahrnehmungsübung
Legen Sie sich entspannt auf den Rücken. Wenn es für Sie angenehmer ist, dann legen Sie sich ein gerolltes Handtuch unter Ihre Knie oder stellen Sie die Beine an.
Legen Sie Ihre Hände auf Ihren unteren Bauch. Beobachten Sie, wie sich Ihr Bauch bei tiefer Einatmung nach oben wölbt und beim Ausatmen wieder flacher wird. Wenn Sie einatmen, entspannen Sie Ihren Beckenboden und atmen tief in Ihren Bauchraum, der sich dadurch weiten sollte.
Bei der Ausatmung schließen Sie Ihre Körperöffnungen, stellen Sie sich vor, Sie könnten die beiden Sitzbeinhöcker näher zusammenbringen und Schambein und Steißbein zueinander ziehen. Im Zentrum Ihres Beckens saugen Sie die Muskelschichten in sich hinein. Bei der Einatmung entspannen Sie wieder bewusst die Beckenbodenmuskulatur, lösen Sie jegliche Anspannung.
Wiederholen Sie diese Übung fünfmal. Achten Sie auf einen entspannten Kiefer und weiche Gesichtszüge. Ihre Zahnreihen liegen locker übereinander und auch Ihre Zunge liegt weich im Mund.
Studien verdeutlichen, dass die Fähigkeit, den Beckenboden entspannen zu können, wichtig ist.
Beckenboden und Zwerchfell
Eine richtige Atemtechnik hilft bei der Aktivierung der Beckenbodenmuskulatur. Der Beckenboden und das Zwerchfell arbeiten sehr eng miteinander
zusammen, unterstützen sich gegenseitig. Das Zwerchfell ist eine Art Dynamikgeber unseres Bauches. Wenn wir verstärkt ausatmen und sich somit das Zwerchfell nach oben bewegt, ist es leichter und funktionell wesentlich sinnvoller, den Beckenboden zu aktivieren. Beim Sprechen und Singen unterstützt der Beckenboden die Ausatmung, was nicht nur für Sänger und Sängerinnen interessant ist. Körperliche Anstrengungen wie Tragen, Heben oder Hüpfen sollten zur Entlastung des Beckenbodens mit Ausatmung kombiniert werden. Beeinträchtigend für die Spannung des Beckenbodens ist dagegen diese Art von körperlicher Belastung kombiniert mit Einatmung.
Beckenboden und Probleme – häufig ein Tabu
Beschwerden zeigen sich sehr unterschiedlich und werden auch von Frau zu Frau anders wahrgenommen, da der gesamte Bereich muskulär, faszial und hormonell beeinflusst wird.
Schwäche und Elastizitätsmangel, ebenso ein zu hoher Muskeltonus, können Probleme verursachen.
Inkontinenz, Organsenkungen (wie etwa Gebärmuttersenkung), Blasenentleerungsstörungen, Erkrankungen im Urogenitaltrakt, Miktionsstörungen,
Symptome von Wassereinlagerungen und auch Beschwerden am Bewegungsapparat, wie beispielsweise Rückenschmerzen
und andere muskuläre Verspannungen, können auftreten. Betroffene Frauen berichten häufig, dass ihre Inkontinenz inzwischen soweit ginge, dass sie sich kaum noch aus dem Hause trauen. Immer Ausschau haltend nach der nächsten Toilette, beschränke sich ihr Radius extrem. Auch wenn sie keine ernsthafte Erkrankung haben, die Lebensqualität sei ihnen dennoch stark genommen. Schwangerschaft und Geburt überdehnen den Beckenboden oder können ihn verletzen. Während einer Schwangerschaft wird der Beckenboden stark belastet, da dieser zusätzlich das Gewicht des Babys im Bauch tragen muss.
In der Rückbildungszeit sollten sich Frauen ganz besonders ihrem Beckenboden widmen. Gleichzeitig sollte der Beckenboden auch entspannen und
loslassen können. Auch können Nerven geschädigt werden, was zu einer Schwächung führen kann. Aber der Beckenboden kann auch Schwierigkeiten mit der Aktivierung haben, da er zu verspannt ist. Auch dann lässt er sich nicht adäquat aktivieren und kann zu Beschwerden führen.
Ebenso sind die Wechseljahre und der damit verbundene Östrogenabfall bei Frauen häufig mit einer Veränderung der Beckenbodenmuskulatur verbunden. Weniger ausgesprochen wird in dieser Zeit über mögliche Schwächen des Beckenbodens, dem Erschlaffen, was zu oben genannten Beschwerden führen kann.
Bei Problemen ist der Beckenboden nicht immer nur geschwächt oder verletzt, er kann auch sehr verkrampft, geradezu blockiert sein. Dies führt zu eingeschränkter Beckenbeweglichkeit und folglich zu verminderter Beweglichkeit und Stabilität des Rumpfes. Im übertragenen Sinne verliert der Körper seine Verbindung zum Boden. Weniger Bodenhaftung wirkt sich auf unser Wohlbefinden und auf unsere Psyche aus. Unsicherheit und Gleichgültigkeit können entstehen.
Sowohl bei Frauen als auch bei Männern wird die Stabilität der Wirbelsäule und die Stellung des Beckens zum Rumpf von der Beckenbodenmuskulatur getragen. Inkontinenzprobleme sind bei Männern häufig mit einem Prostataleiden verbunden.
2 Übungen für den Beckenboden
Katze – Kuh (5x wiederholen)
Gehen Sie in den Vierfüßlerstand, Ihre Beine sind hüftbreit. Atmen Sie zur Vorbereitung tief ein. Mit der Ausatmung aktivieren Sie Ihren Beckenboden und starten Sie Ihre Bewegung mit dem Becken, welches Sie Richtung Decke bewegen. Ihr Steißbein macht eine Art Rollbewegung Richtung Bauch. Wirbel um Wirbel runden Sie Ihre Wirbelsäule wie eine Katze. Mit der Einatmung halten Sie diese Position. Mit der nächsten Ausatmung strecken Sie Ihre Wirbelsäule wieder.
Auster (5x wiederholen)
Legen Sie sich auf die Seite. Ihr Becken und Ihre Schultern sind auf einer Linie, Ihr Kopf kann auf dem unteren Arm aufliegen, sodass Ihr Kopf in einer Linie mit Ihrer Wirbelsäule ist. Ihre Beine sind angewinkelt. Atmen Sie zur Vorbereitung wieder tief ein. Mit der Ausatmung aktivieren Sie Ihren Beckenboden, spannen Ihre Fersen gegeneinander und heben das obere Knie Richtung Decke. Achten Sie darauf, dass Ihr Becken nicht nach vorne oder hinten kippt. Halten Sie mit der nächsten Einatmung die Spannung des Beckenbodens und das Knie oben. Mit der Ausatmung bewegen Sie das Knie wieder zurück in die Ausgangsposition, um dann mit der Einatmung zu entspannen.
Nicht nur bei Schwangerschaft und Geburt bringt ein gut trainierter Beckenboden Vorteile, um den zahlreichen Anforderungen im Alltag und Sport gerecht zu werden. Regelmäßiges Beckenbodentraining hilft nicht nur, Defizite auszugleichen, sondern auch durch einen kraftvollen und elastischen Beckenboden ein stabilisiertes Körperbewusstsein zu entwickeln.
In der fernöstlichen Kultur wird der weibliche Beckenboden als das Tor zum Leben bezeichnet. Er ist der Ort, an dem Leben entsteht und beschützt heranwächst.
Innere Kraft und innere Haltung fördern das Körperbewusstsein mit einer tiefen Verbindung zur inneren Mitte.
Automatisch bringt eine veränderte Körperhaltung eine positive psychische Einstellung mit sich. Beckenbodentraining ist eine optimale Möglichkeit, dem eigenen Körper liebevolle Aufmerksamkeit zu schenken, neue Sinnlichkeit zu genießen und ungeahnte Energien zu mobilisieren. Gleichzeitig dient sie als wertvolle Prophylaxe für Blaseninkontinenz, Rückenschmerzen, Knie- und Hüftprobleme und sorgt sogar für ein erfülltes Liebesleben.
Beckenboden und Yoga
Nach langjähriger Erfahrung als Physiotherapeutin entschloss ich mich, eine Ausbildung als Yogalehrerin zu machen. Als ich die Begriffe „Mula Bandha, Sakral- und Wurzelchakra“ hörte und mich näher damit beschäftigte, sah ich die tiefere Bedeutung unseres Beckenbodens.
„Bandha“ bedeutet im Sanskrit „halten, verschließen, festigen“. Energie soll gehalten, also nicht verschwendet werden. Gelenke werden geschützt und die Körpermitte stark gemacht, was zu mehr Leichtigkeit führt. Mula Bandha bedeutet Wurzelverschluss. (Mula = Wurzel; Bandha = Verschluss) „Das Mula Bandha kontrahiert die Muskeln des Beckenbodens, während es gleichzeitig Energie über die Wirbelsäule nach oben – in höhere Bewusstseinszustände – umleitet.“ (trees and stories)
Chakren sind Energie-Ballungszentren, die alle ihre besonderen Qualitäten haben.
Diese Qualitäten spiegeln sich in dem momentanen Entwicklungszustand, dem eigenen Verhalten und den Gefühlslagen wider.
Wurzel – Chakra – die Verbindung zur Erde
Position: Beckenboden
Farbe: Rot
Element: Erde
Bedeutung: Förderung des Urvertrauens, seelische und körperliche Stabilität, Mut, Herausforderungen begegnen können
Form: Vierblättrige Lotusblüte
Blockade: Misstrauen, Unausgeglichenheit, instabiles Immunsystem, gestörte Verdauung, körperliche Schmerzen
Thema: Erdung, Stabilität, Sicherheit
Planet: Erde, Saturn
Yoga-Übung: Sitzende Vorwärtsbeuge (Paschimottanasana), Baum (Vrksasana)
Alexandra Schmalfuß, Lustenau
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