Die Mistel
Eine Heilerin, die unsichtbar macht und Dämonen bannt
Magie in der Pflanzenwelt gibt es nicht? Dann lassen Sie sich mal mit der Mistel (Viscum album) überzeugen: „Die Mistel ist ein Kind der Sonne, geboren aus dem Blitz, gewiegt von Wind und Mond in der Krone eines Baumes“ (Book of Natural Observation, Schwester Clarissa).
Kein Spruch schafft es für mich besser, die Mistel zu beschreiben. Sie vereint Sonne und Mond, Gold und Silber, Himmel und Erde, männlich und weiblich, hell und dunkel. Sie erzählt uns alte Geschichten von Odin/ Donnar/ Wotan und wiegt mit dem Element Luft die Elementarwesen Sylphen sanft im Wind.
Zudem verstößt sie in so ziemlich allen Bereichen gegen die „Norm” der Pflanzenwelt. Zum Beispiel wächst sie nicht einfach Richtung Erdmittelpunkt, sondern besitzt ihr eigenes kleines Zentrum und wächst als Kugel. Und selbst Radiästheten bewundern ihre heilende Kraft an Orten von starken (nicht unbedingt menschenharmonischen) Energien. Mit Sicherheit ist sie ein Wunder in der Pflanzenwelt – deshalb wird sie schon seit Menschengedenken als eine „Heilige Pflanze” verehrt.
Spätestens seit Asterix und Obelix kennen wir das Ritual, bei dem die magische Pflanze mit einer goldenen Sichel von einem weiß bekleideten Druiden für einen Zaubertrank geschnitten wurde. Von Plinius wissen wir, dass dies vornehmlich „von den Kelten geglaubte Eichen” waren. Sie durften nur zu einer bestimmten Zeit geschnitten werden – natürlich waren Tieropfer für das kosmische Geschenk ein wichtiger Bestandteil.
Nicht nur bei den keltischen Völkern, sondern in fast allen großen Mythen durfte die Mistel aber auf keinen Fall den Boden berühren, damit die Energie nicht durch die Erde neutralisiert wird. Bei den Germanen war die Mistel von allen Lebewesen und Pflanzen die Einzige, die Balder, Odins Sohn, gefährlich werden konnte. Und tatsächlich wurde er von einem Mistel-Pfeil tödlich verwundet (aus der „Edda”, einer Sammlung altnordischer Überlieferungen).
Seitdem weint die Mutter Frigg um ihren Sohn und küsst alle Menschen, die unter einer Mistel stehen.
Vielleicht hatten sie auch im Geschichtsunterricht gelernt, dass in der griechischen Mythologie dem trojanischen Held Äneas mit der „goldenen Zauberrute” (= Mistel) Zugang zur Unterwelt gewährt wurde. Selbst im Christentum gibt es die Legende, dass Christus an ein Kreuz des stattlichen Mistelbaums gekreuzigt wurde. Aus Schande und Scham ist der Baum eingetrocknet und existiert seitdem versteckt in anderen Bäumen als kleiner Mistelstrauch.
Bei meinen Recherchen bin ich auf eine unglaubliche Fülle an weiteren Mythen, Legenden und Sagen zur Mistel gestoßen. – Und was überliefern uns diese Sagen? – Dass die Mistel wahrlich Wunder vollbringen kann! Denn in allen Kulturen, bei denen sie wächst, ist sie wortwörtlich ein „Aller-Welts- Heil”, eine Pflanze, die es so ziemlich mit allen Krankheiten, Dämonen und Energien aufzunehmen vermag.
Heilwirkung in der Medizin
Größen wie Plienius, Hildegard von Bingen und Pfarrer Kneipp empfahlen die Mistel in vielerlei Hinsicht – abgesehen von der „Heiligsprechung” der nordischen Mythologie, Keltenvölker und den antiken Griechen. Plienius empfahl die Mistel bei Epilepsie, Hildegard von Bingen verwendete die Mistel des Birnbaumes bei Lungenleiden,
andere Mistelsorten auch unter anderem bei Fieber, Unfruchtbarkeit, Leberbeschwerden sowie Gicht. Pfarrer Kneipp war begeistert von der Mistel als Blutstiller:[…] „Tee von Misteln stillt Blutflüsse. Ich könnte eine Reihe von Fällen aufzählen, bei denen eine einzige Tasse zur Stillung genügt.“ […] „Auch bei anderen Störungen im Blutkreislauf kann diese Pflanze zu Rate gezogen werden. Die Heilwirkungen der Mistel erstrecken sich in erster Linie auf das Blut und auf die Störungen des Blutumlaufs.“
Neben den bereits aufgezählten Krankheitsbildern wird die Mistel in der Volksheilkunde für eine Vielzahl an Krankheiten eine Heilerin: Bluthochdruck, Fieber, Gallenschwäche, Gebärmuttergeschwülste, Heuschnupfen, Kopfschmerzen, Nervenschwäche, Wechseljahrbeschwerden etc.
In der Anthroposophische Medizin ernten Naturarzneimittelhersteller noch heute um die Winter- und Sommersonnwende die Mistel zur Krebsheilung/Begleitung, wobei auch der Wirtsbaum in Beziehung zum Krankheitsbild gesehen wird. Denn die Mistel hat nicht nur ihre eigenen wundersamen Inhaltsstoffe, sondern übernimmt auch die ihres Wirtsbaumes.
Als sogenannte Halb-Schmarotzerpflanze bildet sie zwar Photosynthese, zapft aber die Bäume an, um Nährstoffe und Wasser zu erhalten. Dabei nimmt sie auch die Baumkräfte des Wirtsbaumes in sich auf.Während vor allem die Misteln auf Nadelbäumen für Hautkrebs verwendet werden, findet die Mistel auf Apfelbäumen bei Myombehandlung und Therapie von Zysten, zum Beispiel im Brustbereich und der Gebärmutter, Anwendung. Die Weißdornmistel ist bei Herzproblemen, die der Ulme bei Nervenleiden im Fokus. Darüber hinaus gibt es noch viele weitere Baum-Mistel-Arten zu unterscheiden.
Die Mistel findet jedoch noch andere Verwendung. Beim Räuchern sagt man ihr nach, dass sie ganz ähnlich wie bei der obigen griechischen Legende mit Äneas wirkt: Als Schlüssel zum Schloss des Unterbewussten. Mit ihr kann man bei Träumen und Seelenreisen Symboliken leichter erkennen und verstehen. Ich persönlich liebe den warmen, umhüllenden Duft auf dem Räucher-Stövchen. Für diesen Zweck können sie selbstverständlich die Mistelzweige sammeln. Schneiden Sie hierzu am besten an trockenen Tagen mit einem scharfen Messer die jungen Zweige ab.
Nach altem Glauben schützt der Mistelanhänger die Kinder sogar vor dem Alb (Albtraum). Und wenn ein Jäger bei der Jagd einen Misteltalisman bei sich trägt, wird er für das Wild quasi unsichtbar.
Na, überzeugt von der Magie der Mistel? Falls ja, dann versuchen Sie doch mal, wie die Schweden früher, mit der Mistel als Wünschelrute einen echten Goldschatz zu finden … Sie ist eben durch und durch eine echt magische Pflanze.
HINWEIS:
An dieser Stelle möchte eindeutig gewarnt sein, dass die Mistel auch leicht giftige Substanzen in sich trägt. Die richtige Anwendung ist daher immer mit einem Fachmann, Apotheker oder Arzt abzusprechen.
Die hier dargestellte Volksheilkunde ist kein Heilversprechen, sondern uraltes Wissen, welches unsere Ahnen ohne wissenschaftlichen Aspekt über Generationen verwendet haben.
Karin Himmelreich-Rades ist Kräuterpädagogin, Naturmentorin und Autorin. Ihre Leidenschaft sind Vorträge, Schulungen, Exkursionen und Workshops zu ethnobotanischem Wissen.