Sinn vor Gewinn
Unternehmens-Eigentum neu denken
Eine zukunftsweisende Idee für die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts. Gesellschaften mit gebundenem Vermögen – kurz GmgV, oder auch unter dem Namen des „Verantwortungseigentums“ bekannt, ist eine Alternative zu herkömmlichen Eigentumsstrukturen. Dadurch entsteht die Möglichkeit, Unabhängigkeit und Werteorientierung eines Unternehmens rechtlich bindend zu verankern. (tl)
Unternehmen in der Form des Verantwortungseigentums beweisen seit vielen Jahren, dass sie erfolgreich sind. So übertreffen sie zum Beispiel traditionelle, gewinnorientierte Unternehmen nicht nur bezüglich ihrer langfristig höheren Gewinnmargen, sondern sind außerdem weniger anfällig für politische und wirtschaftliche Krisen.Weltweit haben Unternehmer seit vielen Generationen verschiedenste rechtliche Lösungen gefunden, um in ihren Unternehmen die Form des Verantwortungseigentums umzusetzen. Diese Pioniere haben innovative Wege entwickelt, um rechtlich bindend zwei Grundsätze im Unternehmen zu verankern:
- Die Stimmrechte und das Management liegen ausschließlich bei aktiven Unternehmern.
- Die Gewinne sind Mittel zum Zweck und nicht zum Selbstzweck.
Hier nur einige bekanntere Firmenbegründer und Firmen, die die Form des Verantwortungseigentums erfolgreich umgesetzt haben: Ernst Abbe, Gründer der Carl Zeiss Stiftung, Robert Bosch, Gründer der Robert Bosch Stiftung, oder auch die von Rudolf Hauschka gegründete Firma der Wala Stiftung.
Um die Umwandlung einer herkömmlichen Unternehmensform in die Form des Verantwortungseigentums zu schaffen, haben die vorgenannten Unternehmen den Weg über Stiftungen gewählt. Dieser Weg ist aufwändig und teuer und für viele kleine und mittelständische Betriebe somit kaum möglich. Für diese könnte die Gesellschaft mit gebundenem Kapital eine neue Möglichkeit darstellen.
Während der Zweck einer herkömmlichen Unternehmung von der ökonomischen Theorie her traditionell in der Gewinnmaximierung und der Steigerung des Unternehmenswerts gesehen wird, wollen Unternehmen mit gebundenem Vermögen einem bestimmten Sinn dienen und sehen Gewinn lediglich als Mittel zu diesem Zweck.
Worin genau dieser Sinn liegt, hängt vom jeweiligen Unternehmen ab. Für manche ist die Antwort auf das „Wofür?“ eine gesellschaftliche Aufgabe, wie zum Beispiel die Firma ecosia: die grüne Alternative zu bekannten Suchmaschinen. Sie pflanzt Bäume für jede getätigte Suche. Für andere Unternehmen liegt der Sinn in ihren hochwertigen Produkten, ganz egal, ob es sich dabei um Technologie, Konsumgüter oder Dienstleistungen handelt. Wieder andere Unternehmen sehen den Sinn bei den inneren Strukturen der Organisation. Für sie geht es darum, wie ihr Unternehmen organisiert und geführt werden soll. Dies kann bedeuten, dass Unternehmen auf Eigenverantwortung und Selbstorganisation setzen, dass Mitarbeiter am Unternehmensgewinn beteiligt werden oder dass die Mitarbeiter einfach frei entscheiden können, von wo aus sie arbeiten.
Die Gemeinsamkeiten
Alle Unternehmen in Verantwortungseigentum haben jedoch eine Gemeinsamkeit: Die Überzeugung, dass Gewinne kein reiner Selbstzweck sind, sondern eine Saat für die Zukunft, ein Mittel, mit dessen Hilfe der eigentliche Sinn des Unternehmens vorangetrieben wird. Deshalb fließen die Gewinne dem Unternehmen wieder zu oder fließen zurück in die Gemeinschaft durch Unterstützung sozialer Projekte.
Bei Verantwortungseigentum ist die Fremd-Finanzierungsmöglichkeit weiterhin gegeben, allerdings wird für das investierte Kapital nur ein gemeinsam vereinbarter Risikoaufschlag sowie eine stille Teilhaberschaft ausgegeben. Die Rückzahlung kann und wird flexibel gemeinsam vereinbart und ist gedeckelt. Somit werden von vornherein nur Investoren angezogen, die ein ähnliches Werte-Verständnis haben.
Um den Werten des Unternehmens treu bleiben zu können, bleibt bei Unternehmen in Verantwortungseigentum das „Steuerrad“, also die Kontrolle über das Management und die strategischen Entscheidungen, in den Händen der Menschen, die im Unternehmen tätig oder eng mit demselben verbunden sind – unabhängig von familiärer Zugehörigkeit. Für herkömmliche Unternehmen ist das eher unüblich, da diese in vielen Fällen von externen Eigentümern kontrolliert werden. Hier geben Aktionäre, Private-Equity-Gesellschaften oder Konzernstrukturen die Unternehmensstrategie und Entscheidungen vor, mit dem primären Ziel, Gewinne zu maximieren. Solche „Fremdeigentümer“ haben keine direkte Verbindung zum Tagesgeschäft des Unternehmens. Sie sind nicht im direkten Kontakt mit den Bedürfnissen der Kunden, der Partner oder der Mitarbeiter und treffen ihre Entscheidungen nur anhand von Zahlen und nicht auf der Grundlage ihres Gewissens. Das Verantwortungsgefühl von Fremdeigentümern ist somit meist weit abgekoppelt von den tatsächlichen Handlungen. Sie erleben nicht tagtäglich und hautnah, wie sich gewinnmaximierende Entscheidungen zu Lasten von Mitarbeitern, Partnern oder Kunden auswirken.
Die Idee einer sinnorientierten Wirtschaft setzt auf volle Verantwortung. Die Menschen in den Organisationen sollten die volle Verantwortung für das Handeln des Unternehmens tragen. Im Gegensatz zu kapitalmarktorientierten Unternehmen fühlt sich bei Unternehmen in Verantwortungseigentum jeder Einzelne, der mit am Steuerrad des Unternehmens steht, dem Unternehmenszweck verpflichtet und muss jede Entscheidung vor seinem Gewissen verantworten. Er hat keine Entschuldigung, kann keine Fremdeigentümer oder Gewinnvorgaben vorschieben, die ihn zu etwas drängen.
Alle Unternehmen in Verantwortungseigentum haben jedoch eine Gemeinsamkeit: die Überzeugung, dass Gewinne kein reiner Selbstzweck sind, sondern eine Saat für die Zukunft, ein Mittel, mit dessen Hilfe der eigentliche Sinn des Unternehmens vorangetrieben wird. Deshalb fließen die Gewinne dem Unternehmen wieder zu oder fließen zurück in die Gemeinschaft durch Unterstützung sozialer Projekte.
Den Unternehmens-Sinn verwirklichen
Eigentum bedeutet hier also die Verantwortung, frei entscheiden zu können, was langfristig das Beste ist, um den Unternehmens-Sinn zu verwirklichen. Das Steuerrad dieser „sich selbst gehörenden Unternehmen“, also die Mehrheit der Stimmrechte, kann deshalb auch nicht verkauft werden, sondern wird treuhänderisch von Verantwortungseigentümern auf Zeit gehalten. Dieser Ansatz ermöglicht den Unternehmen, ihre Unabhängigkeit und Sinnorientierung langfristig zu bewahren.
Konkret bedeutet „Verantwortungseigentum“, dass die Kontrolle über das Unternehmen immer bei denen liegt, die aktuell im Unternehmen arbeiten und die unternehmerische Verantwortung tragen – unabhängig von der familiären Zugehörigkeit. Diese Menschen sind de facto Eigentümer des Unternehmens, sie halten die Stimmrechte. In einem solch selbstorganisierten Unternehmen sind es je nach Unternehmensgröße viele oder alle Mitarbeiter, die die Stimmrechte halten oder aber die Gründer der Unternehmung. Investoren haben bei diesem Modell keine Stimmrechte, ihre Risikobereitschaft wird jedoch honoriert. Der Großteil der Gewinne wird wieder in das Unternehmen reinvestiert. Das Verantwortungseigentum hat dabei keinen finanziellen Wert, die Mitarbeiter halten es nur treuhänderisch, also im Auftrag des Unternehmens-Sinns. Sie halten es auch nur solange sie selbst im Unternehmen aktiv sind und übergeben es danach an nachfolgende Mitarbeitende.
Dieses Modell setzt großes Vertrauen in die Menschen im Unternehmen. Man kann daher noch einen „Sicherheitsanker“ einbauen, falls man der menschlichen Reife noch nicht so ganz traut.
Der Umgang mit Investoren
In der gleichen Logik der Investorenanteile können auch stimmrechtslose Anteile für Gründer und frühere Mitarbeiter geschaffen werden. Sie stellen dem Unternehmen kein Geld zur Verfügung, aber gehen beispielsweise ins Risiko, indem sie eine gewisse Zeit unentgeltlich oder zu einem geringeren Gehalt arbeiten. Auch diese Art von Risikobereitschaft wird im Erfolgsfall belohnt.
Dies wird jedoch dadurch gedeckelt, dass vorab geregelt ist, wie hoch die Auszahlung ausfallen wird. Der Grundgedanke ist dabei: Unternehmen stehen quasi zu einem gewissen Grad in der „Schuld“ der Menschen, die mit ihrer Risikobereitschaft und ihrem Kapital den Aufbau des Unternehmens ermöglicht haben. Diese Schuld ist aber nicht unbegrenzt. Sie wird vorab beziffert und das Unternehmen gleicht sie aus, indem es einen Teil der später entstehenden Gewinne aufwendet, um die an die Gründer und Investoren ausgegebenen Anteile zurückzukaufen. Alle Gewinne, die darüber hinaus gehen, werden nicht ausgeschüttet, sondern reinvestiert. Das sorgt dafür, dass der Fokus des Unternehmens ausschließlich darauf liegt, sinnvoll, langfristig und im Sinne aller Stakeholder zu wirtschaften. Das Unternehmen kann sich mit seinen Leistungen in den Dienst der Gesellschaft stellen und trotzdem den Beitrag von Investoren und Gründern angemessen belohnen. Die Macht im Unternehmen hat dabei nicht mehr die Person, die das meiste Geld auf den Tisch legt oder zufällig als Erbe zum Eigentümer geworden ist. Die Entscheidungshoheit liegt ausschließlich bei denjenigen, die aktuell als Treuhänder die Verantwortung für das Unternehmen tragen.
Dieses Modell setzt großes Vertrauen in die Menschen im Unternehmen. Man kann daher noch einen „Sicherheitsanker“ einbauen, falls man der menschlichen Reife noch nicht so ganz traut. Denn es gibt ein Sprichwort: „Bei Geld hört die Freundschaft auf“, welches sich meist gerade bei großen Summen bewahrheitet. Deshalb wählen einige dieser Unternehmen das Modell von 99 % Stimmenanteilen bei den Mitarbeitenden und Gründern und 1% bei einer Veto-Gesellschaft. Von diesem Vetorecht wird aber nur dann Gebrauch gemacht, wenn:
- versucht wird, das Unternehmen ganz oder in Teilen zu verkaufen,
- Gewinne ausgeschüttet werden sollen, anstatt sie zu reinvestieren.
In welcher Form dieses Vetorecht besteht, kann individuell geregelt werden, aber es wird in den Statuten verankert. Da diese Eigentumsform steuerrechtlich noch nicht von den Finanzbehörden verabschiedet ist, sind noch mancherlei Kniffe notwendig – so auch bei dem Vetorecht. Einige der Firmen, die heute schon nach diesem Prinzip wirtschaften, haben das Vetorecht einer gemeinnützigen Stiftung – der Purpose-Stiftung – übertragen. Die Stiftung nutzt ihr Vetorecht ausschließlich, um sicherzustellen, dass die beiden obengenannten Prinzipien eingehalten werden. Sie nimmt ansonsten keinerlei Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen, das Unternehmen kann sich frei entwickeln und verändern.
Neues Wirtschaften erfordert neue rechtliche Strukturen. Hoffen wir, dass die Regierungen dies in den DACH-Ländern ähnlich sehen und einfache Verfahrensweisen, gerade für kleine und mittelständische Betriebe, in naher Zukunft ermöglichen.
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