Unsere Beziehung zu Geld …
… neu denken
Wir nehmen Geld täglich in die Hand und nutzen es ganz selbstverständlich. Aber welche Auswirkungen hat es auf uns, den Käufer, den Verkäufer und auch auf die Produzenten? In einem Gespräch mit Andrea Valdinoci, dem Geschäftsführer der World Goetheanum Association in Dornach bei Basel, hatte ich die Möglichkeit, seine Sichtweise auf das Thema kennenzulernen. Dabei sind ganz neue Blickwinkel entstanden. (tl)
Andrea Valdinoci wurde 1977 in Rom geboren. Er arbeitete als Sozialbankier bei der alternativen GLS Gemeinschaftsbank und der GLS Treuhand in Bochum, Deutschland. Daraufhin wurde er Treuhänder der Neuguss Holding in Berlin, heute in Kaltenkirchen, die Unternehmer bei der Nachfolgeplanung unterstützt, um ihren Betrieben eine dauerhafte Eigentumsstruktur mit Stiftungsbezug zu geben.
Bei Recherchearbeiten bin ich vor einiger Zeit auf die Masterthesis von Andrea Valdinoci gestoßen. Ihr Titel: „Zukunft schenken – das Verhältnis zum eigenen Geld neu entdecken.“ Während des Lesens spürte ich, dass es jetzt an der Zeit ist, über dieses in unserer Gesellschaft so heikle Thema zu sprechen. Denn wer genug hat, spricht nicht darüber und wer zu wenig hat, auch nicht. Doch beides macht meist unbewusst etwas mit uns. Geld hat mehr Macht über uns, als wir uns eingestehen.
(tl) Was bedeutet Geld für dich?
Andrea Valdinoci: Geld bewegt sich durch uns im Spannungsfeld zwischen Egoismus und Altruismus. So kam es zu meiner Masterthesis und den Gedanken rund um das Thema Schenkung. Aber zunächst ein Schritt zurück. Für mich stellt sich beim Thema Geld die Frage: Welche Beziehung habe ich zu mir im Umgang mit Geld; welche zu meinem Gegenüber, beispielsweise zum Verkäufer einer Ware? Ich selbst darf mich so annehmen, wie ich bin, und erkennen, dass ich auch „Schattenthemen“ habe. Heute ist es mehr denn je notwendig, uns dieses Beziehungsgeflecht klarzumachen. Wir als Käufer tragen die Verantwortung, welche Waren wir kaufen. Wir sollten wissen, woher sie kommen, unter welchen Bedingungen sie produziert werden. Dazu ist es in erster Linie aber notwendig, dass ich mir klar mache, welche Zukunft ich mitgestalten möchte. Wir als Käufer tragen die Verantwortung für die Mitgestaltung unserer Umwelt und letztlich unserer Welt.
Solange wir Geld nur mit Gewinnerzielungsmaßnahmen einsetzen, kommen eben Geschäftsmodelle heraus, mit denen in der Landwirtschaft beispielsweise Felder mit Gift behandelt werden. Aber wir als Käufer tragen aus meiner Sicht die gleiche Verantwortung wie der Verkäufer. Wir dürfen uns hierbei nicht ausnehmen.
Zentral bei all den Geldfragen bleiben die Beziehungen zueinander. Werden sie stärker und belastbarer jenseits der Geldfragen, dann kann man davon ausgehen, dass die Geldtransaktion den sozialen Organismus stärkt. Gleichzeitig kann durch Geld und das heute häufig vorliegende Kaufverhalten eine maximale Distanz zu den Herstellungsprozessen geschaffen werden. Dann werden die Geschäfte, die man tätigt, von den eigenen Wahrnehmungsmöglichkeiten über die tatsächlichen Auswirkungen, die sie nach sich ziehen, entkoppelt. Heute nehmen wir hauptsächlich die ökologischen Auswirkungen wahr, die sozialen viel seltener. Hier stehen wir überall auf der Welt gleichermaßen an einem entscheidenden Punkt: Schaffen wir die Wende oder nicht? Ich nenne das die Kapitalisierung und Materialisierung unserer Gedanken. Unsere Welt zeigt sich heute so, weil wir so denken. Wir denken, wenn etwas messbar ist, hat es einen Wert. Wir fragen, wie etwas kostengünstig reproduziert werden kann; meinen, zuerst für sich und die Rente vorsorgen zu müssen. Dann erst kümmern wir uns um solche Themen, um nur einige Beispiele zu nennen.
Was wir bei diesen Gedanken weniger pflegen, ist unser rhythmisches System; alles, was uns physisch-sinnliche Menschen mit der Einheit von Seele und Geist verbindet; unser Herz, das bei den Käufen, die wir tätigen, häufig außen vor bleibt. Doch unser Herz sollte ein zentraler Punkt bei zukünftigen Geschäften werden, die wir im Großen wie im Kleinen erledigen.
In der Masterthesis habe ich nur einen Aspekt herausgegriffen – das Thema der Schenkung.
Im Laufe meiner beruflichen Tätigkeit habe ich lernen dürfen, dass viel Geld auch eine Belastung für Menschen bedeuten kann, gerade im Bereich der Vererbung. Wenn man sich die Frage stellt, womit die Vorfahren das viele Geld erwirtschaftet haben, kann das Bedürfnis entstehen, dieses Geld an die Gesellschaft zurückgeben zu wollen. Das ist ein sehr schöner Prozess, bei dem ich einige Menschen begleiten durfte. Das habe ich dann tiefergehend in meiner Masterthesis beleuchtet.
Die zentrale These meiner Masterarbeit, die für mich bis heute noch Gültigkeit hat, lautet: „Wenn wir unsere Handlungen in Beziehung setzen zu den anderen Menschen, zur Natur und zur spirituellen Welt, erhalten wir mit dieser Herangehensweise die nötigten Einfälle und Innovationen für eine zukunftsfähige Gesellschaft.
(tl) Was sind aus deiner Sicht die Kernpunkte einer zukunftsfähigen Gesellschaft?
Andrea Valdinoci: Für mich ist die Beziehungskultur der Kernpunkt. Bin ich mit mir und mit meinem ganzen Ich in Verbindung, dann kann ich eine offene und ehrliche Beziehung zu meinem Gegenüber aufbauen. Schaffe ich es in Resonanz mit meinem Gegenüber zu gehen? Wenn das gelingt, dann ist ein kostbarer Beziehungspunkt spürbar, der Vertrauen bildet und der sich wie ein innerlicher Wachstumsschub anfühlen kann.
Bei dem Thema Geld geht es darum, mit unseren Geldtransaktionen eben diese Beziehungsqualität zu verstärken und nicht zu schwächen oder gar zu zerstören. Als Bankfachmann habe ich eine Ahnung davon, wie viel Geld im Umlauf ist, und weiß, dass dieses Geld im Grunde kaum Bezug zur Realwirtschaft hat, dass es vielmehr sehr schnell wertlos werden kann. Als Mensch mit ausgeprägten italienischen Wurzeln empfehle ich im Sozialen so zu handeln, als wenn eine Zeit angebrochen wäre, wo kein Geld mehr vorhanden ist. Das heißt, dass man sich nur durch Qualität der Beziehung gegenseitig unterstützen kann und die Geldtransaktionen dieser neuen Beziehungskultur folgen.
tl) Was sollten wir als Gesellschaft und jeder Einzelne ändern?
Andrea Valdinoci: Für mich ist ein nachhaltiges Wirtschaften zentral, weil wir da so viele Hebel gleichzeitig Richtung Wandel in Bewegung setzen können. Es braucht zudem ein neues Verständnis von Beziehungskultur. Das betrifft auch das Thema Geld sehr stark, weil es zu ungleich verteilt ist. Durch Schenken kann es freiwillig zu einem gesunden und stärkeren Kreislauf führen. Wichtig ist bei all diesen Transformationen, dass auf der Bildungsebene ein Bild des sich entwickelnden Menschen hin zu seinem individuellen Weg gefördert wird, eben nicht in vorgeprägte Muster und Richtlinien. Sonst ist es so, wie wenn wir uns unsere Zukunft und die
unserer Kinder verbauen.
(tl) Welche Möglichkeiten gibt es aus deiner Sicht gerade im Geldwesen, einen neuen Umgang zu finden?
Andrea Valdinoci: Wenn wir von den verschiedenen Geldqualitäten wie Kauf-, Investitions- und Schenkungsgeld sprechen, ist der Fokus zum einen sehr stark auf unser Kaufverhalten zu richten und im Weiteren auf den Aspekt des Schenkens.
Beim Kaufgeld sollte bei jedem zukünftigen Erwerb eines Produktes beim Käufer mehr Bewusstsein mitschwingen. Im Sinne des Gedankens, dass jeder Cent im Grunde ein Stimmzettel dafür ist, in welcher Welt wir leben wollen. Immer, wenn wir etwas kaufen, wird es für andere sogleich wieder produziert. Deshalb sollten wir achtgeben darauf, was wir kaufen.
Auf der Ebene des Leihgeldes braucht es mehr und einfachere Unterstützung für Unternehmungen, die den Wandel beschleunigen. Mindestens genauso wesentlich ist zudem die Auseinandersetzung mit der Frage der Alterung des Geldes, denn wir haben im Geldsystem bisher nur Mengenwachstum programmiert. Beim Schenkungsgeld braucht es viel mehr freie Schenkungen, um das System und damit unsere Welt wieder in ein Gleichgewicht zu bringen.
Wenn wir vom Bankgeschäft her denken, braucht es mehr Bänker, die sich der Nachhaltigkeit verpflichten und mit ihren Kunden in die Gespräche gehen, die ihr Bewusstsein schärfen. Im Prinzip müsste man ihnen wieder aberziehen, was man sie gelehrt hat: die Vorstellung, dass das Geld für sie arbeitet. Sie dürfen heute vielmehr erkennen, dass sie jetzt daran sind zu entscheiden, das Geld so einzusetzen, dass der Wandel gelingen kann und jeder Einzelne dabei eine Rolle spielt und Einfluss darauf hat.
Wenn wir unsere Handlungen in Beziehung setzen zu den anderen Menschen, zur Natur und zur spirituellen Welt, erhalten wir mit dieser Herangehensweise die nötigen Einfälle und Innovationen für eine zukunftsfähige Gesellschaft.
– Andrea Valdinoci
(tl) Was hat dich bei der GLS-Bank geprägt?
Andrea Valdinoci: Wilhelm-Ernst Barkhoff, einer der zentralen Gründerfiguren der GLS-Bank hat mich dahingehend stark geprägt, dass ich nahezu mein ganzes Berufsleben in Firmen gearbeitet habe, die er begründet hat. Das was mich hierbei am stärksten geprägt hat, kann ich so zusammenfassen: Wir Menschen sind selbst verantwortlich. Es steckt ein ungeahntes Potenzial in den Möglichkeiten der Zusammenarbeit und auch in der Nutzung des vorliegenden Rechtsrahmens. Das wurde zum Beispiel bei den legendären Freikäufen von landwirtschaftlichen Flächen zur Umstellung auf biodynamische Anbauweise in den Siebziger- und Achtziger-Jahren des vergangenen Jahrhunderts deutlich. Oft wurde das durch Leih- und Schenkungsgemeinschaften möglich, zum Beispiel durch fünfzig Familien, die sich jeweils für 5.000 deutsche Mark verbürgten und damit ein Umfeld für den Hof aufbauten, für den die GLS Bank 250.000 Mark als Kredit bereitstellen konnte. Somit wurde die Sicherheit des Kredits durch die Gemeinschaft gebildet, gewissermaßen jenseits von materiellen Sicherheiten.
(tl) Was möchtest du am Ende unseres Gesprächs an die Leser weitergeben?
Andrea Valdinoci: Lernt bewusster mit euren finanziellen Ressourcen umzugehen. Überdenkt eure Beziehung zu Geld. Schaut, was es mit euch emotional macht und tretet in Beziehung beim Kauf oder bei anderen Geschäften, die ihr tätigt. Informiert euch ganzheitlich, was eure Transaktionen in einem ganzheitlichen Sinne bewirken. Geld ist ein Werkzeug, um die Welt mitzugestalten – lasst es uns in die Richtung zum nachhaltigen Wandel lenken.
Die Masterarbeit von Andrea Valdinoci:
„Zukunft schenken – Das Verhältnis zum eigenen Geld neu entdecken“
Erläuterung Dreigliederung im Geldwesen Kauf-, Investitions-, Schenkungsgeld
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