Unternehmen der Zukunft
Moralische Intuition in der Gestaltung von Organisationen
Friedrich Glasl ist der große Konfliktforscher unserer Zeit. Ausgelöst durch persönliche Erfahrungen des Nazi-Regimes in Österreich, hat er sich schon früh einer Friedensbewegung angeschlossen und dieses Thema hat ihn ein Leben lang begleitet. Ich hatte die Gelegenheit, mit ihm persönlich über sein Buch „Das Unternehmen der Zukunft“ zu sprechen. (tl)
Dieses Buch ist bereits 1994 erschienen und noch immer ist es aktueller denn je. Bereits in der Einleitung schreibt Friedrich Glasl folgendes:
„Die erforderlichen Strukturveränderungen bedeuten, dass die Führungskräfte in der Wirtschaft, in der Verwaltung, in der Politik als auch im kulturellen Leben immer wenig äußeren Halt mehr finden werden, sondern dass sie vielmehr einer Art Feuer- und Luftprobe ausgesetzt sein werden. Entscheidend ist, ob sie diesen inneren Halt finden und ob sie eine Orientierung in sich haben, denn eine Orientierung an dem, was im Umfeld geschieht, ist schwierig.
Es wird also in der nächsten Zeit darauf ankommen, an der Orientierungsfähigkeit der Führungspersönlichkeiten und Mitarbeitenden ganz bewusst zu arbeiten. Orientierung zu haben bedeutet Visionen zu haben, dass man über die vordergründigen Erschütterungen, Turbulenzen, Verschiebungen hinaus wirklich einen Blick sowie einen Zugang zu dem Neuen hat, was da hinter den Turbulenzen, hinter all dem, was zusammenbricht und vergeht und noch am Kommen ist, steckt.“
Friedrich Glasl und seine Kollegen, allen voran Bernhard Lievegoed, sehen vier Entwicklungsphasen von Unternehmen und für jede Phase braucht es andere menschliche Qualitäten.
Das Unternehmen der Zukunft, Friedrich Glasl
Die vier Entwicklungsphasen
Als erstes beginnt jedes Unternehmen mit der sogenannten „Pionierphase“. Hier wird die Kultur von den Gründern als Individuen stark geprägt.
In der zweiten Phase, der „Differenzierungsphase“, sind im Unternehmen Prozesse und Regeln prägend und vorherrschend. Nichts wird dem Zufall überlassen, sondern genau geregelt – auch wie geführt wird. Die Art der Zusammenarbeit und der Umgang mit Kunden, Lieferanten und Mitarbeitenden steht hier im Fokus. Es herrscht meist eine „Ingenieurs-Sprache“ vor, die Unternehmenswelt ist entsprechend nüchtern und rational gestaltet.
Viele Unternehmen haben mittlerweile erkannt, dass diese Form die Organisation langsam und träge macht und man so heute nicht mehr erfolgreich am Markt bestehen kann. Sie sind deshalb auf dem Weg in die dritte oder auch schon bereits in die vierte Entwicklungsphase.
Die dritte Phase, die „Integrationsphase“, zeichnet sich durch ein Denken aus, dass Organisationen wie ein lebendiger Organismus funktionieren sollten. Die Menschen werden als Körper/Seele/Geist-Wesen angesehen und integriert in ein größeres Ganzes, nämlich in die Unternehmensorganisation. Die Organisation bildet diese drei Ebenen ebenso ab, aber eben auf einer höheren Ebene.
Die sieben Wesenselemente der Organisation
Es herrscht dadurch ein Denken in sogenannten Subsystemen vor. Es werden im Wesentlichen folgende Subsysteme unterschieden:
Kulturelles Subsystem mit den Elementen der Identität – dem Zweck der Organisation, der Policy und der Strategie.
Soziales Subsystem mit den Menschen, den Teams, der Werte-Kultur, der Struktur der Aufbauorganisation, dem Führungsverständnis sowie den Rollen und Funktionen.
Technisch-instrumentelles Subsystem mit den Prozessen und den physischen Arbeitsmitteln.
Das Denken in Subsystemen ist deshalb so essenziell, da jetzt der Schritt weg von der „technischen Sprache“ hin zu einer Balance von kulturellem, sozialem und dem technisch-instrumentellen Subsystem vollzogen werden muss. Sonst bleibt das gesamte System in der zweiten Phase stecken.
Es muss also ausgewogen auf alle drei Subsysteme geachtet und daran aktiv gearbeitet werden. Die Gefahr besteht nämlich hier besonders, dass der Fokus nur auf ein oder zwei Subsysteme gerichtet wird. Dann gerät das Ganze in Dysbalance und es findet meist wieder eine Überregulierung statt.
In dieser Phase braucht es bereits ein neues Menschenbild sowie ein erweitertes Bewusstsein bezüglich persönlicher Stärken und Schwächen.
Die vierte Entwicklungsphase ist die sogenannte „Assoziationsphase“. In dieser Phase wird erkannt, dass es nicht nur wichtig ist, die eigene Organisation gut zu gestalten und zu führen, sondern dass die eigene Unternehmung auch ein Teil in einem großen Biotop ist.
Die Organisation steht in permanenter Wechselbeziehung mit den Kunden und Lieferanten sowie Sublieferanten und der Umwelt. In dieser Phase muss der Blick auf das gesamte System gelenkt werden, denn es herrscht dann der Gedanke vor:
Es wird mir als Unternehmen und den Lieferanten gut gehen, wenn jeder nicht nur an das eigene Wohlergehen denkt, sondern grundsätzlich an das gemeinsame Wohlergehen im Zusammenspiel aller.
In dieser Phase wird Verantwortung für das vorgelagerte und nachgelagerte Geschehen übernommen. Diese Phase unterliegt sehr stark dem Bewusstsein, der Moral sowie der Ethik. Nur wenn es gelingt, ein Bewusstsein für die vorgelagerten Bedürfnisse der Kunden und die nachgelagerten Prozesse der Lieferanten sowie die Auswirkungen auf die Umwelt mit in unser tägliches Handeln zu integrieren, werden Unternehmen in Zukunft erfolgreich sein. Dieses Bewusstsein sollte in jedem Mitarbeitenden entwickelt werden. Damit dies jedoch gelingen kann, muss dies zuallererst von den oberen Führungs-Ebenen verstanden und vorgelebt werden, um es erfolgreich im Unternehmen zu etablieren.
Bei Unternehmen, die sich in der vierten Phase befinden, wird im Vergleich zu Unternehmen der früheren Phasen ein Vielfaches des Weiterbildungsbudgets für die Persönlichkeitsentwicklung verwendet. Denn in der vierten Phase findet die Begegnung auf Augenhöhe statt. Viele Unternehmen möchten diese vierte Phase unbedingt erreichen, sind aber nicht bereit das dafür notwendige Bewusstsein zu entwickeln. Ohne diese Bewusstseins-Entwicklung ist jedoch ein Ausstieg aus dem bisherigen Kreislauf nicht möglich.
„Es wird mir als Unternehmen und den Lieferanten gut gehen, wenn jeder nicht nur an das eigene Wohlergehen denkt, sondern grundsätzlich an das gemeinsame Wohlergehen im Zusammenspiel aller.“
Alte Management-Methoden sowie altes und gewohntes Denken helfen uns bei dieser Kulturveränderung nur noch wenig. Es sind zukünftig Persönlichkeiten mit einer hohen moralischen Intuition gefordert und diese kann entwickelt werden. Jeder Mensch trägt dieses Potenzial in sich, nur das Ego und unsere Gewohnheiten verdecken es leider häufig. Um mit der Organisation in die Assoziations-Phase zu gelangen, braucht es ein neues, lebendiges Denken und Handeln. Es gilt, Entscheidungen im Sinne des Ganzen zu fällen.
„Es kann nur erneuernd gehandelt werden, wenn ein anderes Bild des Menschen und ein anderes Verständnis für die Natur vorherrscht. Es müssen also bisherige Grundannahmen und altgewohnte Denkmuster in Frage gestellt und losgelassen werden. Dabei wird man immer durch eine Phase der Unsicherheit gehen müssen.“
Friedrich Glasl
Das ist eingangs damit gemeint, wenn Friedrich Glasl von Feuer- und Luftproben spricht. Und diese können leichter mit einem guten, persönlichen inneren Halt durchschritten werden. Jeder Mitarbeitende kann sich aber schon ganz unabhängig von der Organisation auf den Weg in die vierte Phase begeben. Denn dann kann jeder in seinem persönlichen Umfeld schon bei seinem täglichen Konsumverhalten und Entscheidungen ganzheitlich Denken und sein Handeln entsprechend ausrichten.
Durch einfache Fragestellungen können Kollegen angeregt werden, auch über das eigene Aufgabengebiet hinausreichend nach- und mitzudenken. Dies kann für die Führungskräfte und Kollegen ein wertvoller Ansporn sein, neues und lebendiges Denken in ihrem eigenen Wirkungsbereich zu integrieren. Unser Denken und Handeln ist immer auch ein Spiegelbild unseres persönlichen Weltbildes. Deshalb ist es wichtig, dass jeder für sich seinen individuellen Weg in diese vierte Phase findet und geht. Tools und Methoden sind dabei nur bedingt hilfreich.
Sie können zwar unterstützen, doch gelingen wird der erfolgreiche Eintritt der gesamten Organisationen in diese Phase nur durch die Entwicklung eines neuen ganzheitlichen Bewusstseins und getragen wird es ausschließlich von den Menschen in den Organisationen.
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