Was kostet kreative Arbeit?
Über den Sinn von Stundensätzen.
Ist die Herangehensweise, den Preis für eine Dienstleistung über den Stundensatz zu ermitteln, die richtige? Darüber hat sich Markus Hartmann Gedanken gemacht. Er ist Berater, Seminarleiter, Trainer und Redner. Als Gastautor teilt er seine Erkenntnisse mit uns:[/vc_column_text]
„Was kostet es … ?”
… fragt der Kunde. Diese Frage erfüllt Kreative oft mit Unbehagen. Eine angeblich »leichte« Antwort verspricht seit vielen Jahrzehnten der Stundenverrechnungssatz (Stundensatz) in Verbindung mit dem wahlweise vorab »geschätzten« oder rückwirkend gemäß Zeiterfassung und Stundenzettel abgerechneten Zeitaufwand. Die Stundensatzkalkulation ist die vorherrschende Methode der Preisfindung in vielen Branchen – so auch in der Kreativwirtschaft. Kalkuliere deine »Kosten«, denn diese muss der Kunde bezahlen, heißt es. Aber sind die “Kosten” des Anbieters wirklich der Grund, warum
Kunden handeln?
Diese Methode weist viele grundlegende Mängel auf, denn sie führt bei handelnden Menschen zu widerstreitenden Interessen. Ein Beispiel? Während es aus Kundensicht erstrebenswert ist, möglichst schnell und bestmöglich Hilfe und Problemlösung zu erfahren, führt dies dazu, dass es für Anbieter vorteilhaft erscheint, länger zu brauchen, denn dies würde ja die potenziell abzurechnenden Zeitaufwände erhöhen. Anders gesagt: In der Welt des Stundensatzes würde die schnelle und unmittelbare Problemlösung, die den Kunden sofort weiterbringt und hilft, einen vermeintlich niedrigeren Preis (weil niedriger Zeitaufwand) begründen. Ein unauflösbarer Widerspruch.
Worin liegt der Wert?
Damit ist der erste Mangel auch bereits angesprochen: Er liegt in einem falschen Verständnis von Wert, das die Zeitaufwände und Kosten des Anbieters dramatisch überschätzt, und – was der Hausverstand längst erkannt hat – übersieht, dass es Zeichen von Können ist, mit der richtigen Idee im richtigen Moment zur richtigen Zeit das Problem des Kunden bestmöglich zu lösen. Die dem Stundensatz zugrunde liegende Annahme, dass Wert durch Arbeitskraft und Zeitaufwand bestimmt sei, wurde bereits im 19. Jahrhundert entkräftet. Wert liegt im Auge des jeweiligen Betrachters und ist damit stets eine subjektive Wertung im gegebenen Moment und der Situation – stets unter Abwägung anderer Möglichkeiten und Alternativen.
Aber man müsse doch die eigenen Ausgaben decken, dabei müsse man doch seine “Kosten” kennen? Selbstverständlich müssen Selbständige und Unternehmer darauf Augenmerk legen, mehr »einzunehmen« als »auszugeben« und mit den verfügbaren Mitteln und der knappen Lebenszeit bestmöglich haushalten. Und dies mit wachem Blick auf die Gegenwart und etwaige Chancen und Risiken der ungewissen Zukunft mit all ihren Unwägbarkeiten – was im Übrigen für alle Menschen gilt.
Hierbei ist ein klares Verständnis von gegenwärtigen Ausgaben nötig, aber auch davon, was wir uns beispielsweise von einer Investition in die Zukunft erwarten. Dazu braucht es jedoch keinerlei Umrechnung beziehungsweise Verrechnung in einen Stunden- oder Tagessatz.
Anders gesagt: Wer gerade keine Aufträge hat, dem wird auch ein wie auch immer berechneter Stundensatz kein Trost sein. Und wer sich wiederum über hohe Nachfrage freuen kann, der übersieht, dass Kunden unter Umständen auch “mehr” als nur den Stundensatz bezahlt hätten – hätte man mit jedem einzelnen Kunden individuell ge- und verhandelt.
Vertrauen als Basis
Ein Handel kommt nur zustande, wenn sich beide Handelnden eine Verbesserung der gegenwärtigen Situation erwarten. Hierfür bedarf es nicht zuletzt des wechselseitigen Vertrauens, dass man nichts unversucht lassen wird, um das erwartete Ergebnis zu erreichen. Und womöglich auch das Vertrauen in sich selbst als Anbieter, das sich auch aus vergangenen Erfolgsgeschichten mit anderen Kunden speist. Und gerade diese Erfolgsgeschichten machen wir uns oftmals zu selten bewusst, wiegen doch die vorgeblichen Absagen aufgrund des »zu hohen« Preises oftmals in der Erinnerung schwerer. Die erwartete Problemlösung aus Kundensicht ist nicht nur die Grundlage des möglichen Angebotes, sondern auch – und hier bedarf es auch einer Prise Bauchgefühl und Entdeckerfreude – des Preises. Was kann dabei helfen Offenheit gegenüber den Problemen und Erwartungen des Kunden, welche sich häufig hinter dem geäußerten Wunsch nach einem Logo oder einer Website verbergen. Und dies bedeutet
gerade in der Phase der
Klärung Zurückhaltung, voreilig über mögliche Lösungen zu sprechen – auch wenn es verlockend erscheinen mag. Geleitet von dem Bewusstsein, dass jeden Kunden die Sorge treibt, die falsche Entscheidung zu treffen, denn diese würde schlimmstenfalls für den Kunden bedeuten, dass er Zeit und Geld sowie die Chance vergeudet hätte, das Richtige und Wichtige zu tun.
Das verpasste Weihnachtsgeschäft ist unwiederbringlich verloren und deshalb ein nicht rechtzeitig online geschalteter Onlineshop dramatisch. Ein verpfuschter Website-Relaunch, der einen Absturz bei den Google-Suchergebnissen nach sich zieht, verheerend. Ein über Monate hinweg – aus welchen Gründen auch immer – verzögertes Projekt erzeugt auf Kundenseite womöglich einen großen und schmerzhaften Verlust.
Das erfordert das gemeinsame Beschreiten dieses Weges hin zu einer verständnisvollen Klärung. Und ja: Das dauert vielleicht anfangs länger. Jedoch senkt eine solche Klärung, ganz nebenbei das Risiko für den kreativ Arbeitenden, denn ihm bleiben womöglich Enttäuschungen erspart. Vor allem aber erleichtert es dem Kunden die Entscheidung. Dies erfordert ein vertrauensvolles und verständnisvolles, gar mitfühlendes Miteinander und die Kunstfertigkeit, hier in einen gemeinsamen Austausch zu gehen. Einen Dialog. Und auch mögliche Konflikte als wertvoll für einen Erkenntnisgewinn zu schätzen. Eine hohe Verantwortung, aber eine große Chance, mit voller Energie auf die Probleme bestehender und zukünftiger Kunden zu schauen. Und garantiert wertvoller und erkenntnisreicher als der starre Blick auf den Stundensatz des vermeintlichen Wettbewerbers und sich von der falsche Annahme, ein Kunde würde allein anhand des „niedrigsten“ Preises entscheiden, blenden zu lassen. (tl)
Markus Hartmann ist Seminarleiter, Berater, Trainer und Redner. Sein Wissen und seine Erkenntnisse teilt er gerne. Und eines ist sicher: Er inspiriert und unterhält gleichermaßen. Vielleicht weil er an der einen oder anderen Stelle so manchen Glaubenssatz kräftig durcheinander rüttelt.
Vergiss deine Stundensätze. Schalt die Zeiterfassung ab. Oder: Controlling ist das Problem, nicht die Lösung. Um nur ein paar seiner auf den ersten Blick radikal anderen Themen anzusprechen, die aber bei Lichte betrachtet nur eines tun: den Menschen in den Vordergrund stellen und all das klar und deutlich anzusprechen, was wertschaffendes und wirkungsvolles Miteinander be- und verhindert.
Fotonachweis: Nicole Knelleken