WIR SÄGEN AM EIGENEN AST
SPEKULATIONSOBJEKT – LEBENSMITTEL
Auch in unserer Landwirtschaft ist das Schneller-Höher-Weiter-Denken längst angekommen. Die Konsequenzen sind den meisten Verbrauchern aber gar nicht wirklich bewusst.
Immer wieder sehen wir Bilder und Berichte über unsägliche Bedingungen der Tierhaltung und gehen dann doch wieder in den Supermarkt, um dort Fleisch- und die Wurstwaren aus herkömmlicher Tierhaltung oder gar aus dem Ausland zu kaufen. Die Bilder dieser Dokumentationen sind dann bereits wieder verblasst. Nur wir als Verbraucher können und müssen auf vielfältige Weise Einfluss nehmen. Wir können durch unser Denken und Handeln viel mehr beeinflussen als wir meinen. Mit unserem Kaufverhalten haben wir diese Entwicklung zugelassen. Jetzt ist es an der Zeit, durch ein geändertes Konsumenten-Bewusstsein, das Ganze zu stoppen und auch in die von uns bevorzugte Richtung zu beeinflussen. Wir brauchen dabei nicht auf die Politik hoffen, sondern müssen am besten heute noch damit beginnen, unser Kaufverhalten zu verändern.
Wie alles begann
Karl Holböck, Bauer aus Leidenschaft, hat mit uns über die heutige Herausforderung dieser Berufssparte gesprochen. Er bewirtschaftet mit seiner Familie 120 ha Land und hält 70 Milchkühe. Gleichzeitig ist er auf Kreisebene im Bauernverband engagiert und im Prüfungsausschuss tätig. Aus seiner Sicht begann um das Jahr 2000 herum die große Veränderung in der Landwirtschaft. Die Situation der Bauern wurde immer schlechter und kleine landwirtschaftliche Betriebe verschwinden seither immer mehr. Jährlich geben immer mehr Landwirte Ihren Beruf und damit meist auch ihre Berufung auf, weil es für sie unrentabel geworden ist. Gab es 1990 noch 620.000 Betriebe in Deutschland, sind es im Jahre 2020 nur noch 260.000. Angefangen hat es, dass die Einfuhrzölle aus den angrenzenden Ländern weggefallen sind und die Bauern Ausgleichszahlungen bekommen haben, damit sie wettbewerbsfähig bleiben. Gleichzeitig sind die Bodenpreise gestiegen. Dies hat dazu geführt, dass es sich für einen Bauern nahezu nicht mehr lohnt, Land zu bewirtschaften. Die Gründe sind vielfältig, aber es gibt zwei wesentliche Punkte, die zeigen, wie weit wir von einer natürlichen Landwirtschaft und damit von gesunden Lebensmitteln weggekommen sind. Da sind zum einen die hohen Bodenpreise, Grund und Boden und auch die landwirtschaftlichen Flächen wurden immer mehr zum Spekulationsobjekt. Der weitere Aspekt ist, dass die landwirtschaftlichen Flächen durch starke Verbauung immer mehr zurückgedrängt wurden und dass auch die Lebensmittel zu Spekulations-Objekten wurden.
So sind die Bodenpreise zwischen 2005 und 2019 um fast 200 Prozent gestiegen. Kostet 2010 ein Hektar Land noch € 150,00 p.a. Pacht, kostet er im Jahr 2021 bereits € 329,00.
Wenn wir Endverbraucher mit unserem Kaufverhalten dazu beitragen, dass wir die Lieferketten verkürzen und
immer mehr regionale Produkte kaufen, zahlen wir weniger, da wir die großen Gewinnspannen der Supermarktketten nicht mitbezahlen müssen.
Das lässt ein herkömmliches Wirtschaften nicht mehr zu und wird für den Landwirt unrentabel. Wir als Gesellschaft sollten uns fragen, ob es sinnvoll ist, landwirtschaftliche Böden als Spekulationsobjekt im Sinne von Angebot und Nachfrage zu betrachten und dass Ausgleichszahlungen auf brachliegende
Flächen gezahlt werden, anstatt sie für die Erzeugung unserer Nahrungsmittel zu verwenden, die in
der Region benötigt werden. Wir kaufen Ware, die aus anderen Ländern importiert werden, kleben dann ein CO2 Zertifikat drauf und meinen, es wäre ökologisch sinnvoll. Der Landwirt in der Region, der uns bedarfsgerecht versorgen könnte, gibt parallel seinen Betrieb auf, weil er zusätzlich durch den Preisdruck der großen Lebensmittelkonzerne nicht mehr wirtschaftlich arbeiten kann. Wir machen uns zu wenig Gedanken darüber, was passieren würde, wenn die derzeitigen Lieferketten unterbrochen werden, die Bauern weg sind und die Waren aus dem Ausland nicht mehr geliefert werden. Wenn wir Endverbraucher mit unserem Kaufverhalten dazu beitragen, dass wir die Lieferketten verkürzen und immer mehr regionale Produkte kaufen, zahlen wir weniger, da wir die großen Gewinnspannen der Supermarktketten nicht mitbezahlen müssen. Vielen ist dieser Aspekt gar nicht bewusst, es ist aber ein entscheidender Faktor für die aktuelle Situation der gesamten Landwirtschaft. Leider sind auch die Bauernverbände heute keine Vertreter mehr für die Bauern, sondern wie sich mehr und mehr herausstellt, dienen sie der Finanz- und Chemie-Industrie, anstatt wirklich für die Bauern einzutreten. Tiere, Lebensmittel und Böden werden überwiegend nur noch als Wirtschaftsgüter betrachtet, mit denen Gewinnmaximierung betrieben wird, damit auch umgegangen. Ein Tier ist ein Lebewesen und kein Wirtschaftsgut, das beliebig optimiert werden kann. Auch können wir Böden nicht beliebig auf Ertrag trimmen, ohne dass dadurch das Ökosystem aus dem Gleichgewicht gerät. Im Jahre 1890 lag der Ertrag von einem Hektar Land noch bei 1,5 Tonnen Getreide, heutzutage hat es sich mehr als versechsfacht und liegt bei bis zu 10 Tonnen pro Hektar, abhängig von der Getreideart.
Die Natur würde von sich aus ausreichend und qualitativ hochwertige Ernten ermöglichen, wenn wir wieder zu einer gesunden Landwirtschaft wechseln und wenn wir die Böden artgerecht bepflanzen und abernten.
Die Böden und das Saatgut wurden immer mehr züchterisch optimiert, aber dabei wurde die wahre Qualität der Lebensmittel völlig aus den Augen
verloren. Die Ertragssteigerungen sind nur durch den massiven Einsatz von Chemikalien möglich geworden, was sich aber gleichzeitig auf die Reduktion von Nährstoffen in den Böden sowie unseren Lebensmitteln auswirkt. Die Natur würde von sich aus ausreichende und qualitativ hochwertige Ernten ermöglichen, wenn wir wieder zu einer gesunden Landwirtschaft wechseln und wenn wir die Böden artgerecht bepflanzen und abernten. Heute haben wir durch die eingesetzten Pestizide und Chemikalien nahezu keine Mineral- und Nährstoffinhalte mehr in den Böden. Die Böden sind ausgelaugt und wir führen uns Mineralstoffe in Form von Nahrungsergänzungsmittel zu und halten dies für völlig normal.
Wenn der Boden falsch und zu intensiv bewirtschaftet wird, verliert er seine Funktionsfähigkeit und degradiert. Schätzungsweise 20 bis 25 Prozent aller Böden weltweit sind bereits davon betroffen und jedes Jahr verschlechtern sich weitere 5 bis 10 Millionen Hektar weltweit. Das entspricht der Fläche Österreichs (ca. 8,4 Millionen Hektar). Dabei gibt es durchaus Böden, etwa im Auenbereich von Euphrat und Tigris oder im Hochland von Neuguinea, die seit 7000 Jahren unter
ganz unterschiedlichen Bedingungen genutzt werden – und nach wie vor fruchtbar sind. Die großen Gewinner dieser Schneller-Höher-Weiter-Entwicklung sind die großen Konzerne sowie die Handelsketten. Die Lebensmittel- Spekulationen an den Börsen tragen ein Weiteres zu dieser Entwicklung bei. Die Bauern und wir als Endverbraucher bleiben dabei allerdings immer mehr auf der Strecke.
„Sei Du selbst
die Veränderung
die Du Dir
wünschst.“
– Mahatma Gandhi
Auswege aus der Abwärtsspirale
Es gibt viele gute Initiativen, so Karl Holböck. Jeder, der möchte, findet in seiner Region Bauern, die erkannt haben, dass sie einen anderen Weg einschlagen müssen. Aber allein können sie es nicht schaffen, sie brauchen uns Endverbraucher, damit wir ihre Waren abnehmen. Im Ideal siedeln sich die
Bauern wieder rund um eine Region an und verkaufen ihre Erzeugnisse in Lebensmittelgeschäften direkt an die Endverbraucher. Das Problem sind nicht die Supermarktketten allein, sondern die Spekulationen mit Lebensmitteln. Wenn wir dieses Glied aus der Kette entfernen und direkter beim Erzeuger kaufen, bleibt mehr beim Erzeuger hängen und wir als Endabnehmer bezahlen am Ende auch noch weniger bei gleichzeitig besserer Qualität. Wie solche Kooperationen aussehen können, bleibt den Bauern und den Endverbrauchern einer Region selbst überlassen. Es kann von lokalen bis zu überregionalen Einkaufs-Kooperationen reichen oder auch länderübergreifend. Aber dabei muss natürlich der Fokus immer auch auf die Jahreszeiten gelegt werden, nicht alles wächst in unseren Breitengraden zu jeder Jahreszeit. Es gilt wieder Verzicht zu üben und die Vorfreude auf zum Beispiel Erdbeeren zu genießen. Dadurch nähern wir uns wieder einem natürlichen und gesunden Rhythmus an.
Wir können zum Beispiel, wem das möglich ist, den Bauern unsere Unterstützung beim Anbau und der Ernte anbieten, um dadurch günstiger einzukaufen, so spart sich der Bauer Erntehelfer und wir erleben hautnah, welche Arbeit in dem Anbau von Gemüse und Obst steckt. Die Wertschätzung der Endverbraucher für die Arbeit der Bauern zur Erzeugung der Lebensmittel würde dadurch unmittelbar wieder steigen.
Gleichzeitig könnten wir auch unsere Aktiendepots mal genauer durchforsten, um zu sehen, wofür unser Geld von den Banken denn eigentlich investiert wird. Auch in diesem Bereich kann jeder anfangen bewusster zu werden, damit unser Geld nur noch dort investiert wird, wo es einen echten und nachhaltigen Nutzen für die Gemeinschaft hat, anstatt nur einseitig auf die Rendite zu schauen. Mittlerweile gibt es gute Möglichkeiten, sein Geld direkt in Projekte der nachhaltigen Landwirtschaft zu investieren. So können zum Beispiel bei „BioBoden“ ab einen Betrag von € 1.500,00 Genossenschaftsanteile erworben werden. Mit dem Geld kauft BioBoden landwirtschaftliche Flächen auf, um es Bauern dann zu einem günstigen Betrag langfristig für die Bewirtschaftung zur Verfügung zu stellen. Hier finden Sie weitere Informationen dazu (www.bioboden.de).
Je mehr Menschen erkennen, dass sie bei sich selbst beginnen müssen, statt auf die anderen zu warten, desto schneller verändern sich die Dinge in eine wünschenswerte Richtung. Wir leben in einer Zeit, die uns auffordert, aus unserer Komfortzone herauszukommen. Die letzten zwei Jahre haben uns deutlich aufgezeigt, welche Defizite durch unser Verhalten entstanden sind. Wir müssen die Veränderung sein, die wir wollen und können diese ganz einfach durch unser Einkaufsverhalten aktiv mitgestalten. Das ist der wirkungsvollste Beitrag, den jeder von uns leisten kann. (tl)
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